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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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worden, damit ihr Chef, der Abgeordnete Paul Lacaze, das Flugzeug noch erreichte. In letzter Minute hatte er in der eigentlich ausgebuchten Maschine noch einen Platz bekommen.
    Diese Vorzugsbehandlung verdankte er nicht seiner Eigenschaft als Abgeordneter, sondern seiner Mitgliedschaft in einem sehr exklusiven Kreis: dem Club 2000. Im Gegensatz zu den Kundenbindungsprogrammen für Vielflieger mit Zehntausenden von Flugmeilen und Tausenden von Flugstunden an Bord von Langstreckenflugzeugen ebnete den Zugang zum Club 2000 keine Treuekarte. Die Mitgliedschaft in diesem sehr erlesenen Klub aus Wirtschaftskapitänen, Persönlichkeiten aus dem Showgeschäft, hohen Beamten und Politikern hing vielmehr von der Erfüllung äußerst strenger, aber recht unscharfer Kriterien ab. Um seine Exklusivität und seine Bedeutung zu unterstreichen, war die Zahl der Klubmitglieder ursprünglich auf weltweit 2000 begrenzt worden – aber dann waren nach und nach immer mehr Mitglieder aufgenommen worden, bis fast das Zehnfache der ursprünglichen Zahl erreicht war. Darunter waren auch einige Kardinäle, Sportler und Nobelpreisträger. Natürlich hatten nicht alle 577 Abgeordneten der Nationalversammlung Zugang zu dem Klub, auch wenn sie deshalb ihre Reisen keineswegs aus eigener Tasche bezahlten. Aber Lacaze war der Shootingstar, der Medienliebling, und bekannte Persönlichkeiten wurden von der Fluggesellschaft eben umworben.
    Endlich glitten vor den Passagieren die Türen auf, und Meredith Jacobsen winkte kurz ihrem Chef, der ihr mit seiner umgehängten Reisetasche entgegenging und dabei ein Gesicht zog wie sieben Tage Regenwetter. Meredith Jacobson, 28, Tochter einer Französin und eines Schweden, hatte an der Pariser Elitehochschule Sciences Po studiert und war parlamentarische Assistentin. Sie wurde aus Geldern bezahlt, die dem Abgeordneten, für den sie arbeitete, persönlich zur Verfügung gestellt wurden, und hatte ein winziges Büro in der Rue de l´Université 126. Lacaze beschäftigte vier Mitarbeiter – darunter zwei Verwandte, einen entfernten Cousin und eine Nichte -, die völlig legal aus Budgetmitteln der Nationalversammlung bezahlt wurden; sie aber war das Kernstück der Gruppe, die Vertrauensperson – und die einzige Vollzeitbeschäftigte.
    Die Arbeit eines parlamentarischen Assistenten war nicht eindeutig definiert. Meredith kümmerte sich daher um alles: Sie sortierte die Post, reservierte Bahn- und Flugtickets sowie Hotels, war für die Terminplanung und die Beziehungen zu den Medien, Vereinen, Gewerkschaften und Wirtschaftsvertretern zuständig, erstellte Memos und wirkte sogar an der Abfassung von Gesetzentwürfen und Änderungsanträgen mit. Meredith war eine Perle, und Lacaze wusste das. Lange würde sie diesen Job ohne Karriereaussichten nicht machen. Außerdem war sie hübsch. Deshalb zahlte er ihr monatlich 2800 Euro, die höchste Gehaltsstufe in einem Beruf, in dem die Bezahlung von einigen hundert bis einige tausend Euro reichen konnte.
    Auf seine persönlichen Gelder griff Paul Lacaze freilich nicht zurück, um seine Assistentin zu vergüten. Wie jeder Abgeordnete erhielt auch er vom Staat 8.859 Euro pro Monate für die Bezahlung seiner Mitarbeiter. Dazu kamen sein eigenes Abgeordnetengeld in Höhe von 5.189,27 Euro sowie eine großzügige „Aufwandsentschädigung“ von 6.412 Euro brutto, deren Verwendung von der Nationalversammlung nicht kontrolliert wurde. Auch Reise- und Kommunikationsspesen wurden separat abgerechnet – und trotzdem hätte natürlich niemand die Unschicklichkeit besessen, von ihm die Erstattung der Aufwandsentschädigung zu verlangen, falls sich erweisen sollte, dass er sie kaum zur Hälfe ausgegeben hatte.
    Meredith küsste ihren Chef auf beide Wangen, nahm ihm seine Tasche ab und ging mit ihm zum Kurzzeitparkplatz, wo sie ein Taxi erwartete.
    „Wir müssen uns beeilen“, sagte sie. „Devincourt erwartet dich zum Mittagessen im Cercle de l´Union interalliée.“
    Lacaze fluchte innerlich: Der Wal hätte einen diskreteren Ort aussuchen können als diesen exklusiven Club. Offiziell war Devincourt nur ein Senator unter anderen. Er war nicht einmal Vorsitzender seiner Fraktion. Tatsächlich aber war er mit seinen 72 Jahren einer der führenden Köpfe der Partei. 1967 war er mit 29 Jahren zum ersten Mal zum Abgeordneten gewählt worden, hatte im Verlauf von über vierzig Jahren nacheinander sämtliche Kernministerien bekleidet, hatte sechs Staatspräsidenten, achtzehn Premierminister

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