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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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und Tausende von Abgeordneten kommen und gehen sehen und mehr politische Karrieren gemacht und zerstört als irgendjemand sonst. Lacaze hielt ihn für einen Dinosaurier, einen Mann der Vergangenheit, einen has been – aber niemand konnte es sich erlauben, nicht auf den Wal zu hören.
    Meredith Jacobsen zog ihren Rock zurecht, als sie auf dem Rücksitz des Taxis Platz nahm, und Lacaze dachte einmal mehr, dass sie wirklich schöne Beine hatte. Aus dem Radio dröhnte in voller Lautstärke David Bowie, und er bat den Fahrer, die Musik leiser zu machen. Eine geöffnete Aktenmappe auf den Knien, gab ihm Meredith einen Überblick über die Termine an diesem Tag, und vertieft in die Betrachtung der öden Brachen in den südlichen Pariser Vororten hörte er ihr mit halbem Ohr zu. Insgesamt waren ihm die Elendsquartiere von Buenos Aires und São Paulo lieber. Er hatte sie bei einer aufwändigen Delegationsreise besichtigt, die einer der Freundeskreise der Nationalversammlung organisierte: Sie hatten immerhin so etwas wie Charakter.
     
    Als Lacaze den großen Saal betrat, sah er, dass der Wal nicht mit dem Essen gewartet hatte. Er thronte inmitten des Salle à Manger , dem Feinschmeckerrestaurant im ersten Stock des Cercle de l´Union interalliée – der alte Senator saß hier lieber als auf der Terrasse, die bei schönem Wetter regelrecht gestürmt wurde, und in der Cafeteria drängten sich für ihn zu viele muskulöse Dreißigjährige, die von den clubeigenen Sportanlagen kamen. Der Wal trieb keinen Sport, und er brachte gut zweieinhalb Zentner auf die Waage. Er war bereits Mitglied des Cercle, als all diese Rotznasen noch nicht mal geboren waren. Der 1917, dem Jahr des offiziellen Kriegseintritts der Vereinigten Staaten, gegründete Cercle de L´Union interalliée war ursprünglich als Ort der Begegnung für Offiziere und hohe Vertreter der Entente gedacht. Seinen Sitz hatte er in einem der schönsten Stadtpalais von Paris, in der Rue du Faubourg-Saint-Honoré 33, zwischen der britischen und der amerikanischen Botschaft, dem Elyseepalast und den Luxusboutiquen des 8. Arrondissements; seine ursprüngliche Bestimmung war allerdings längst in Vergessenheit geraten. Zwei Restaurants, eine Bar, ein Park, eine Bibliothek mit 15.000 Werken, private Salons, ein Billardsaal, ein Schwimmbad, eine Dampfsauna und eine Sportanlage im Untergeschoss. Aufnahmegebühr: ungefähr 4000 Euro. Jahresbeitrag: 1400 Euro. Selbstverständlich wurde man mit Geld allein nicht aufgenommen – sonst wären alle neureichen Online-Auktionatoren aus den USA, die kleinen, von Akne zerfressenen Informatikgenies und die Drogenhändler der Pariser Banlieue gekommen, um sich in diese Salons zu lümmeln und mit ihren Turnschuhen über die Teppiche zu trampeln. Man brauchte zwei Paten – und viel Geduld, und manch einer wartete sein Leben lang vergeblich.
    Als sich Lacaze zwischen den Tischen hindurchschlängelte, beobachtete er den Senator, der ihn noch nicht entdeckt hatte. Der kleine Fettwanst, der einen gelinde gesagt auffälligen gestreiften Anzug und ein weißes Hemd trug, saß vor einem Hummer. Lacaze sah die Speckfalten in seinem Nacken und sah unter dem gespannten Stoff seines teuren Anzugs die zahllosen Wülste geradezu vor sich, die den Körper dieses Dickhäuters überzogen.
    „Mein junger Freund“, sagte Devincourt mit seiner barschen Stimme, als er den Abgeordneten entdeckte, „setzen Sie sich. Ich habe nicht mit dem Essen gewartet. Mein Magen ist anspruchsvoller als die anspruchsvollste Geliebte.“
    „Guten Tag, Herr Senator.“
    Der Oberkellner kam, und Lacaze bestellte ein Lamm-Rippenstück mit Steinpilzen.
    „Nun, ich habe gehört, Sie haben Ihre Nase in eine Pussi gesteckt, der dann nichts besseres eingefallen ist als zu krepieren. Ich hoffe, es hat sich wenigstens gelohnt.“
    Lacaze zuckte zusammen und holte tief Luft. Eine saure Mischung aus Wut und Verzweiflung zerfraß ihm die Eingeweide. Wie konnte jemand es wagen, so über Claire zu sprechen? Er hätte diesem fetten Dreckskerl am liebsten mit der Faust den Schädel eingeschlagen. Aber er war schon vor diesem Polizisten schwachgeworden. Er musste sich wieder fangen.
    „Jedenfalls hab ich sie nicht bezahlt“, erwiderte er mit zusammengepressten Lippen.
    Ganz Paris wusste, dass der Wal die gebührend zu honorierenden Dienste von Professionellen in Anspruch nahm. Mädchen aus Osteuropa, die Zuhälter ihm in ein paar große Hotels brachten, wo man es nicht so genau nahm. Der

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