Kindertotenlied: Thriller (German Edition)
wilden Wein und dem steinernen Brunnen erinnerte an einen kleinen Dorfplatz in der Provence. Sie erinnerte sich an den genauen Wortlaut der E-Mail. Gern hätte sie ihm gesagt, was sie davon hielt – aber auch das ging nicht, ohne ihm zu gestehen, dass sie in seinen Rechner eingedrungen war.
„Hast du zufällig eine Kopie dieser E-Mail?“, fragte sie auf gut Glück.
Er griff in seine Jacke, holte ein zweimal gefaltetes Blatt heraus und hielt es ihr hin. Sie nahm sich die Zeit, den Text, den sie bereits auswendig kannte, nochmals durchzulesen.
„Diese Sache setzt dir ziemlich zu, oder?“
Er nickte.
„Was hältst du davon?“, wollte er wissen.
„Hm …“ Sie tat so, als würde sie weiterlesen.
„Hirtmann oder nicht?“
Sie tat so, als würde sie nachdenken.
„Meines Erachtens passt das zu ihm.“
„Wie kommst du darauf?“
„Wie gesagt, ich habe Monate damit verbracht, seine Persönlichkeit, sein Verhalten zu studieren … Ich will mich nicht loben, aber ich glaube, dass ich ihn besser kenne als irgendjemand sonst. Diese Nachricht hört sich für mich echt an, da schwingt etwas mit, was mir vertraut vorkommt. Fast höre ich seine Stimme, als wir damals in seiner Zelle waren …“
„Dabei wurde die E-Mail von einer Frau verschickt, in einem Internetcafé in Toulouse.“
„Ein Opfer oder eine Komplizin“, kommentierte sie. „Wenn er eine Frau gefunden hat, die die gleichen perversen Neigungen hat wie er, ist das sehr beunruhigend“, fügte sie hinzu und starrte ihn an.
Er spürte, wie ihn trotz der Hitze ein eisiger Schauer durchrieselte.
„Du sagst, du langweilst dich an deiner neuen Stelle?“, fuhr er schief lächelnd fort.
Sie sah ihn fest an, während sie sich ganz offensichtlich fragte, worauf er hinauswollte.
„Sagen wir, deshalb bin ich nicht zur Gendarmerie gegangen.“
Er schien nachzudenken und fasste dann einen Entschluss.
„Samira und Vincent tragen sämtliche verfügbaren Informationen über Hirtmann zusammen. Allerdings habe ich sie auch gebeten, auf meine Tochter aufzupassen. Margot geht in Marsac in die Schule. Wie fast alle dort wohnt sie im Internat, weit weg von ihrer Mutter und von mir. Sie stellt also ein ideales Ziel dar.“ Er merkte, dass er ganz leise gesprochen hatte, als würde er befürchten, eine Äußerung würde wahr, wenn sie laut ausgesprochen wird. „Was hältst du davon, wenn ich dir sämtliche Informationen, die wir über Hirtmann zusammentragen, zukommen lasse? Ich wüsste gern, was du dazu meinst.“
Sie strahlte übers ganze Gesicht.
„Kurz: Du willst mich als Beraterin, wie?“
„Du sagst es: Du bist ja inzwischen Expertin für schweizerische Serienmörder“, bestätigte er lächelnd.
„Warum nicht, aber befürchtest du nicht, dass du deshalb Ärger bekommen könntest?“
„Wir müssen es ja nicht laut ausposaunen. Nur Vincent und Samira werden eingeweiht, von ihnen bekommst du die Informationen. Ich vertraue ihnen. Und deine Einschätzung interessiert mich. Wir haben damals im Winter zusammen einen guten Job gemacht.“
Er sah, dass sie das Kompliment berührte.
„Wer hat dir gesagt, dass ich Lisa Ferney im Gefängnis besucht habe?“, wollte sie wissen.
„Sie selbst. Ich habe sie ungefähr zwei Stunden nach dir besucht. Great minds think alike …“
„Und was hat sie dir über Hirtmann gesagt?“
„Dass sie keinen Kontakt zu ihm hat. Und dir?“
„Das Gleiche … Glaubst du ihr?“
„Sie wirkte sehr deprimiert …“
„Und frustriert.“
„Oder aber sie ist eine hervorragende Schauspielerin.“
„Möglich.“
„Wie würde sie sich verhalten, wenn Hirtmann in der Gegend wäre und Kontakt zu ihr aufgenommen hätte?“
„Sie würde bestimmt behaupten, sie hätte nichts von ihm gehört – und sie würde so tun, als ob sie deprimiert wäre …“
„… und frustriert …“
„Glaubst du …?“
„Ich glaube gar nichts. Aber es wäre vielleicht gut, sie im Auge zu behalten.“
„Und wie stellst du dir das vor?“, sagte Ziegler.
„Besuch sie regelmäßig. Ich hatte den Eindruck, sie vergeht vor Langweile. Versuch dich in ihr Vertrauen einzuschleichen. Vielleicht rückt sie mit irgendetwas heraus. Auch wenn es nur eine Kleinigkeit ist, um dir für deine Besuche zu danken und sicherzustellen, dass du wiederkommst … Aber vergiss nicht, sie ist manipulativ und narzisstisch, wie Hirtmann, und sie wird versuchen, deine Schwachstellen auszunutzen, dich einzuwickeln, und sie vielleicht sagt sie dir auch
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