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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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einer bestimmten Sicht geschildert, in einer Weise, die mich bewusst entlastet hat. Man hätte auch eine genau entgegengesetzte Version der Ereignisse liefern können. Alles ist immer eine Frage des Blickpunkts. Du hast dein Versprechen gehalten, wenigstens du.“
    Er zuckte betreten mit den Schultern. Eine Bedienung schlängelte sich zwischen den Tischen hindurch und stellte einen Kaffee und eine Flasche Perrier vor sie hin.
    „Und deine neue Stelle?“
    Jetzt zuckte sie mit den Schultern.
    „Verkehrskontrollen, hin und wieder Schlägereien von Trinkern in einer Bar, Einbrüche, Vandalismus oder ein Typ, der erwischt wird, wie er vor einem Gymnasium Shit verkauft … Aber dadurch wird mir bewusst, wie privilegiert ich bei der Toulouser Kripo war … baufällige Räumlichkeiten, sanierungsbedürftige Dienstwohnungen, absurde Entscheidungen von total realitätsfernen Vorgesetzten … Kennst du das Syndrom des ‚zappelnden Gendarmen‘?“
    „Des was?“
    „Die Eierköpfe an der Spitze haben entschieden, am dringendsten wäre die Ausstattung unserer Diensträume mit neuen Bürostühlen. Das Problem ist nur: Die Sitzfläche zwischen den Armlehnen ist nicht breit genug für einen Gendarmen mit umgeschnallter Pistole. Die Folge: Alle Gendarmen dieses Landes zappeln ständig auf ihren neuen Stühlen herum, weil sie nicht bequem darauf sitzen können.“
    Die Vorstellung ließ ihn schmunzeln. Aber nicht lange.
    „Du hast gestern Lisa Ferney im Knast besucht“, sagte er. „Warum?“
    Sie sah ihm unverwandt in die Augen. Er erinnerte sich an die stürmische Nacht in einer Station der Bergwacht, in der sie ihm erzählt hatte, wie sie in ihrer Jugend von denselben Männern vergewaltigt worden war wie Alice Ferrand und die anderen Jugendlichen in der Ferienkolonie „Des Isards“. Sie schaute fast genauso düster drein wie in jener Nacht.
    „Ich … ich habe in der Zeitung gelesen, dass Hirtmann wieder Kontakt zu dir aufgenommen hat, dass er dir diese E-Mail geschrieben hat … Ich …“ Sie nahm sich die Zeit, ihre Worte sorgsam auszuwählen. „Seit den Ereignissen in Saint-Martin habe ich nicht aufgehört … an ihn zu denken. Wie gesagt, in meiner neuen Dienststelle passiert nicht viel Spannendes … Daher sammele ich zum Zeitvertreib möglichst viele Informationen über Hirtmann. Seit den Ermittlungen in Saint-Martin ist das zu einer Art Obsession … einem Hobby geworden. Wie andere Leute Modelleisenbahnen, Briefmarken oder Schmetterlinge sammeln, verstehst du? Mit dem einen Unterschied, dass der Schmetterling, den ich gern in meinem Insektenkasten aufspießen würde, ein Serienmörder ist.“
    Sie führte ihr Sprudelglas an den Mund. Servaz beobachtete sie. Sie hatte noch immer die kleine Tätowierung am Hals – ein chinesische Schriftzeichen – und ihr dezentes Piercing im linken Nasenloch. Kein wirklich klassisches Outfit für einen Gendarmen. Aber ihm gefiel das. Er mochte Irène Ziegler. Er hatte gern mit ihr gearbeitet. Er sah sie intensiv an.
    „Das heißt, du sammelst alles, was über ihn geschrieben wird, auch wenn es bloß Gerüchte sind?“
    „Ja … so ungefähr. Ich versuche die Informationen abzugleichen, ein Muster zu erkennen, vielleicht sogar eine Fährte aufzunehmen. Bislang mit wenig Erfolg. Es ist, als wäre er vom Erdboden verschwunden. Niemand weiß, ob er überhaupt noch lebt. Und als ich dann nach meinem Urlaub gehört habe, dass er wieder Kontakt zu dir aufgenommen hat, habe ich sofort an Lisa Ferney gedacht. Und habe sie besucht.“
    „Vielleicht ist es ein Scherz“, sagte er. „Oder ein Trittbrettfahrer.“
    Sie sah, dass er zögerte.
    „Aber da ist noch etwas“, fügte er hinzu.
    Sie sagte nichts. Sie glaubte zu wissen, was er meinte, aber sie konnte ja nicht über das sprechen, was sie in seinem Computer gefunden hatte.
    „Ein Motorradfahrer, auf den die Personenbeschreibung von Hirtmann zutrifft und der mit einem möglicherweise schweizerischen Akzent spricht, wurde an einer Raststätte der A20 gesehen. Die Bilder einer Überwachungskamera an einer Mautstelle etwas weiter südlich haben die Aussage des Pächters bestätigt. Wenn er es war, fuhr er gerade Richtung Toulouse.“
    „Wann war das?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
    „Vor ungefähr zwei Wochen.“
    Sie sah sich um, als könnte Hirtmann ganz in der Nähe sein, irgendwo in der Menge, um sie auszuspionieren. Die meisten Gäste waren Studenten; die Terrasse mit ihren rosa Backsteinmauern, dem

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