Kindertotenlied: Thriller (German Edition)
muss unter uns bleiben.“
„Selbstverständlich“, antwortete der Mann ohne jegliche Regung. „Haben Sie eine richterliche Beschlagnahmeverfügung?“
„Nein. Aber ich kann eine beantragen.“
„Dann tun Sie das.“
Mist! Gleich legte er auf!
„Warten Sie!“
„Ja, Capitaine?“
Ihre Eilfertigkeit schien ihn zu amüsieren. Sie spürte, wie langsam die Wut in ihr aufstieg.
„Hören Sie, Monsieur Lambert … Ich kann diesen Beschluss in den nächsten Stunden beschaffen. Allerdings handelt es sich um einen Wettlauf mit der Zeit. Der Verdächtige trägt die Dokumente möglicherweise noch immer bei sich, aber wie lange noch? Wir wissen nicht, wann oder an wen er sie übergeben wird. Wir wollen ihn beschatten. Sie werden verstehen, dass jede Minute zählt. Und Sie wollen sich doch bestimmt nicht – und sei es fahrlässig – der Beihilfe zu einer so schweren Straftat wie Industriespionage schuldig machen.“
„Ja, verstehe. Natürlich. Ich bin ein verantwortungsbewusster Bürger, und wenn ich irgendetwas tun kann, um Ihnen im Rahmen der Gesetze zu helfen … Aber Sie werden Ihrerseits verstehen, dass ich nicht ohne triftigen Grund persönliche Informationen über meine Mitarbeiter weitergeben kann.“
„Aber diesen Grund habe ich Ihnen gerade genannt.“
„Nun gut, sagen wir, ich warte einfach ab … bis dieser triftige Grund von einem Richter bestätigt wird …“
Die Stimme des Mannes klang ironisch und arrogant. Irène kochte vor Wut. Es war genau das, was sie brauchte.
„Ich kann Ihnen natürlich keine Behinderung der polizeilichen Ermittlungen vorwerfen, das Gesetz steht auf Ihrer Seite, das gebe ich zu“, erklärte sie mit eiskalter Stimme. „Aber wir einfachen Gendarmen sind ziemlich nachtragend … Wenn Sie daher bei Ihrer Haltung bleiben, werde ich Clarion die Gewerbeaufsicht, die regionale Arbeitsagentur, die Steuerfahndung und das Amt zur Bekämpfung der Schwarzarbeit auf den Hals hetzen … Und die werden so lange herumwühlen, bis sie etwas finden, glauben Sie mir.“
„Ich rate Ihnen, einen anderen Ton anzuschlagen, Sie gehen zu weit“, regte sich der Mann auf. „Das lass ich mir nicht bieten. Ich werde mich bei Ihren Vorgesetzten beschweren.“
Er bluffte. Das hörte sie ihm an.
„Und wenn nicht heute, dann morgen“, fuhr sie im gleichen drohenden Ton fort. „Denn wir lassen Sie nicht mehr in Ruhe, das können Sie mir glauben … Ich hoffe, dass es in Ihrem Personalmanagement nicht die kleinste Unregelmäßigkeit gibt, Monsieur Lambert, ich wünsche es Ihnen aufrichtig, denn sonst können Sie eine ganze Reihe Ihrer Kunden abhaken, angefangen bei der Polizei …“
Schweigen am anderen Ende.
„Ich schicke Ihnen die Liste.“
„Mit allen Informationen, die sie enthält“, stellte sie klar, bevor sie auflegte.
Servaz fuhr auf der Autobahn. Es war noch genauso schwül, aber am Himmel braute sich ein Gewitter zusammen: Immer mehr schwarze Wolken zogen auf. Die Hitzewelle würde sich bald in Blitz und Donner entladen. Er spürte, dass auch er sich einem lautstarken Finale näherte. Bestimmt waren sie näher dran, als sie glaubten. Die Puzzlestücke waren da, vor ihren Augen. Sie mussten sie nur noch kombinieren und zum Sprechen bringen.
Er rief Espérandieu an und bat ihn, nach Toulouse zurückzukehren und die Vergangenheit von Elvis zu durchleuchten. Tagsüber wimmelte es im Gymnasium von Menschen, und Samira würde Margot auf Schritt und Tritt folgen. Unter diesen Bedingungen würde Julian Hirtmann nicht zuschlagen. Vorausgesetzt, er hatte überhaupt die Absicht dazu, was Servaz allmählich bezweifelte. Einmal mehr fragte er sich, wo der Schweizer steckte. Alle Gewissheiten über ihn gerieten ins Wanken. Hatte er bloß geträumt, er wäre eine Marionette, und es gab gar keinen Puppenspieler, der die Fäden zog? Oder im Gegenteil, war Hirtmann immer ganz in der Nähe, lauerte im Schatten, trat still und leise in seine Fußspuren, schlüpfte in tote Winkel und Spalten? Hirtmann wurde für ihn immer mehr zu einem Phantom, zu einem Mythos. Servaz verscheuchte diesen Gedanken. Er machte ihn nervös.
Mit vierzig Minuten Verspätung parkte er vor dem Restaurant am Ortseingang von Marsac.
„Wo bleibst du denn?“
Margot trug Shorts, klobige Sicherheitsschuhe mit Stahlkappe und ein T-Shirt mit dem Bild einer Band, die er nicht kannte. Ihre Haare waren rot gefärbt und mit Gel im Igel-Look gestylt. Er küsste sie, ohne zu antworten, nahm sie bei der Hand und
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