Kindertotenlied: Thriller (German Edition)
Servaz. Aber an einem solchen Tag heilten es die Mörder und Gauner wahrscheinlich genauso. Er ging zum Büro des Chefs, klopfte und trat ein. Der Direktor legte gerade als „sensibel“ klassifizierte Akten in den Safe –Geldwäsche oder Drogendelikte. Darüber hing an einem Garderobenständer eine taktische Weste mit der Aufschrift „Kriminalpolizei“.
„Ich bin sicher, dass Sie mich nicht herbestellt haben, um mit mir über Fußball zu sprechen“, spöttelte er.
„Lacaze wird vorläufig festgenommen“, teilte ihm Stehlin sogleich mit, während er den Safe wieder zumachte. „Richter Sartet wird die Aufhebung seiner Immunität beantragen. Er weigert sich zu sagen, wo er am Freitagabend gewesen ist.“
Servaz warf ihm einen ungläubigen Blick zu.
„Er ruiniert gerade seine politische Karriere“, bemerkte der Oberkommissar.
Der Polizist schüttelte den Kopf. Irgendetwas störte ihn.
„Und trotzdem“, sagte er. „Trotzdem glaube ich nicht, dass er es gewesen ist. Ich hatte den Eindruck, er wollte um nichts in der Welt preisgeben, wo er war … Aber nicht, weil er an dem Abend bei Claire Diemar war.“
Stehlin sah ihn verständnislos an.
„Wie bitte? Ich verstehe nicht.“
„Na ja, wie soll sich sagen? Als würde die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens seiner Karriere weniger schaden als die Aussage, wo er sich an dem Abend aufgehalten hat“, antwortete Servaz ratlos und versuchte gleichzeitig, den tieferen Sinn seiner eigenen Worte zu verstehen. „Ich weiß, ich weiß, das hört sich absurd an.“
Ziegler starrte auf den Bildschirm ihres Rechners. Es war nicht der brandneue in ihrer Wohnung, sondern die viel lahmere Kiste in ihrem Dienstzimmer. An den Wänden hatte sie ein paar Plakate von ihren Lieblingsfilmen aufgehängt, Der Pate II, Die durch die Hölle gehen, Apocalypse Now, Clockwork Orange , aber zur Aufheiterung genügte das nicht. Sie betrachtete die Akten auf den Regalen vor sich: „Einbrüche“, „Anabolika-Handel“, „Sinti und Roma“, und seufzte.
Es war ein ruhiger Vormittag. Sie hatte ihre Leute überallhin ausgeschickt, und abgesehen von einer Ordonnanz am Eingang war die Gendarmeriekaserne still und leer.
Nachdem Irène die laufenden Arbeiten erledigt hatte, kam sie wieder zu dem zurück, was sie am Abend vorher in Martins Computer gefunden hatte. Jemand hatte ein Schadprogramm auf seinen Rechner heruntergeladen … Ein Kollege? Aus welchem Grund? Oder ein Verhafteter, während Martin kurz hinausgegangen war? Kein vernünftiger Polizist und erst recht nicht Servaz selbst hätte so jemanden unbeaufsichtigt in seinem eigenen Büro allein gelassen. Jemand aus dem Reinigungstrupp? Das war eine Hypothese … Im Moment sah Ziegler keine andere. Sie müsste in Erfahrung bringen, welches Unternehmen die Büros der Kripo Toulouse reinigte … Sie könnte dort anrufen, aber sie bezweifelte, dass sie die Information einer Gendarmin ohne richterliche Verfügung und stichhaltige Erklärung weitergeben würden. Sie könnte auch Martin bitten, sich für sie zu informieren. Aber sie stieß immer auf die gleiche Frage: Wie sollte sie ihm erklären, was sie entdeckt hatte, ohne ihm zu gestehen, dass sie seinen Computer gehackt hatte?
Vielleicht gab es eine andere Lösung.
Sie öffnete die Online-Ausgabe der Gelben Seiten, antwortete auf die Frage „Was, wer?“ Gebäudereinigung und auf die Frage „Wo?“ Großraum Toulouse.
Dreihundert Treffer! Sie sonderte alle sogenannten Firmen aus, die nur kleinere Arbeiten ausführten wie Haushaltsreinigung, Gartenarbeiten, Bekämpfung von Holzschädlingen oder Wärmedämmung, und konzentrierte sich auf die, die ausschließlich auf Gebäude- und Büroreinigung spezialisiert waren. Sie erhielt etwa vierzig Firmennamen. Das war schon viel übersichtlicher.
Sie schaltete ihr Handy ein und wählte die erste Nummer auf der Liste.
„Clean Service“, antwortete eine Frauenstimme.
„Guten Tag. Hier ist die Personalabteilung des Polizeipräsidiums, Boulevard de l´Embouchure. Wir haben … äh … ein kleines Problem …“
„Was für ein Problem?“
„Nun, wir sind mit den Leistungen Ihrer Firma nicht zufrieden. Wir sind der Ansicht, dass sich die Qualität der Arbeit in letzter Zeit verschlechtert hat, und wir …“
„Polizeipräsidium, sagen Sie?“
„Ja.“
„Einen Moment, bitte, ich stelle Sie durch.“
Sie wartete. War es möglich, dass sie gleich beim ersten Versuch einen Treffer gelandet hatte? Das Warten zog sich
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