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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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den Nachbarn: Darum kümmert sich Christine. Sie ist viel umgänglicher als ich, wenn Sie verstehen, was ich meine. Das sollten Sie sie fragen.“
    „Waren Ihre Frau und Sie schon mal bei ihr?“
    „Ja. Als sie in dieses Haus eingezogen ist, haben wir sie zum Kaffee eingeladen. Sie hat die Einladung erwidert, aber es blieb bei dem einen Mal. Es war wohl reine Höflichkeit.“
    „Erinnern Sie sich, ob sie Puppen gesammelt hat?“
    „Ja. Meine Frau ist Psychologin. Ich erinnere mich ganz genau, dass sie auf dem Rückweg von der Einladung eine Hypothese darüber aufstellte, wieso sich in dem Haus einer alleinstehenden Frau so viele Puppen befinden.“
    „Was für eine Hypothese?“
    Winshaw sagte sie ihm.
    Zumindest die Frage der Herkunft der Puppen war damit geklärt. Servaz hatte keine Fragen mehr. Er bemerkte ein kleines Möbelstück, auf dem aufgeschlagen eine Tora, ein Koran und eine Bibel lagen.
    „Interessen Sie sich für Religionen?“, fragte er.
    Winshaw lächelte. Er trank einen Schluck, während seine Augen über dem Glas schelmisch funkelten.
    „Sie sind faszinierend, nicht wahr? Ich meine die Religionen … Wie derartige Lügen so viele Menschen verblenden können? Wissen Sie, wie ich dieses Möbel nenne?“
    Servaz zog eine Braue hoch.
    „‘Die Arschloch-Ecke‘“.

6
     
    Amicus mihi Plato, sed magis amica veritas
    Servaz steckte eine Münze in den Getränkeautomaten und drückte auf die Taste „Filterkaffee mit Zucker“. Irgendwo hatte er gelesen, dass Filterkaffee entgegen der landläufigen Meinung mehr Koffein enthielt als Espresso. Der Plastikbecher fiel schief in den Ausgabeschacht, die Hälfte des Kaffees lief daneben, und er wartete vergeblich auf den Zucker und das Rührstäbchen.
    Trotzdem trank er das Gebräu bis zum letzten Tropfen leer.
    Dann knüllte er den Becher zusammen und warf ihn in den Mülleimer.
    Schließlich machte er die Tür auf.
    Die Gendarmeriewache in Marsac hatte keinen Verhörraum. Ein kleiner Versammlungsraum im ersten Stock wurde dafür umfunktioniert. Servaz sah sich sofort nach dem Fenster um. Er runzelte die Stirn. Die größte Gefahr in so einer Situation war weniger ein Flucht- als ein Selbstmordversuch, wenn sich der Beschuldigte in die Enge getrieben fühlte. Auch wenn er es für äußerst unwahrscheinlich hielt, dass sich der Verdächtige aus dem ersten Stock stürzen würde, wollte er kein Risiko eingehen.
    „Mach den Rollladen zu“, sagte er zu Vincent.
    Samira hatte ihr Notebook aufgeklappt und war gerade dabei, das Festnahmeprotokoll einzugeben; zuerst notierte sie die Uhrzeit, zu der der Polizeigewahrsam begonnen hatte. Anschließend drehte sie den Computer zu der Stelle hin, wo der Verdächtige sitzen würde, um ihn mit der eingebauten Webcam zu filmen. Servaz fühlte sich einmal mehr überfordert. Seine jungen Mitarbeiter ließen ihn jeden Tag spüren, wie schnell sich die Welt veränderte und wie schlecht er darauf eingestellt war.#
    „Wo bleiben sie denn?“, fragte er verärgert.
    In diesem Moment ging die Tür auf und Bécker betrat mit Hugo den Raum. Der Junge trug keine Handschellen. Das sprach für den Gendarmen. Servaz beobachtete ihn. Er wirkte geistesabwesend und erschöpft. Er fragte sich, ob die Gendarmen nicht versucht hatten, ihn selbst zu vernehmen.
    „Setz dich!“, sagte der Gendarm.
    „Hat er mit einem Anwalt gesprochen?“
    Bécker winkte ab.
    „Seit seiner Festnahme hat er kein Wort gesagt.“
    „Aber Sie haben ihn doch bestimmt darauf hingewiesen, dass er das Recht auf einen Anwalt hat?“
    Der Gendarm warf ihm vernichtende Blicke zu und hielt ihm wortlos ein maschinengeschriebenes Blatt hin. Servaz las: „Verlangt keinen Anwalt.“ Er setzte sich an den Tisch, dem Jungen gegenüber. Bécker stellte sich neben die Tür.
    „Ihr Name ist Hugo Bokhanowsky“, begann er, „Sie wurden am 20. Mai 1992 in Marsac geboren.“
    Keine Reaktion. Servaz las die folgende Zeile und zuckte zusammen.
    „Sie sind im zweiten Jahr der geisteswissenschaftlichen Vorbereitungsklasse am Gymnasiums von Marsac ..“
    Seit einem Monat war Hugo achtzehn. Und er war schon im zweiten Jahr der Khâgne. Ein Überflieger … Er war nicht in derselben Klasse wie Margot – die im ersten Jahr war -, aber immerhin auf demselben Gymnasium. Daher war es recht wahrscheinlich, dass auch Margot Claire Diemar als Lehrerin gehabt hatte. Er nahm sich vor, sie danach zu fragen.
    „Möchten Sie einen Kaffee?“
    Keine Reaktion. Servaz drehte sich zu Vincent

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