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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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lateinische Gedichte.“
    „Haben Sie Latein studiert?“
    „Philologie, vor langer Zeit.“
    Winshaw nickte energisch mit dem Kopf.
    „Allein die Dichtung vermag die Unfähigkeit des Menschen, den Sinn unseres kurzen irdischen Daseins zu ergründen, angemessen in Worte zu fassen“, sagte er. „Aber wenn man ihr die Wahl lässt, wird die Menschheit sich immer lieber mit Fußball beschäftigen als mit Victor Hugo.“
    „Schauen Sie nicht gerne Sportsendungen?“, neckte ihn Servaz.
    „ Brot und Spiele . Nicht gerade originell. Die Gladiatoren riskierten wenigstens ihr Leben. Das machte doch wenigstens etwas her, anders als die kurzhosigen Jungs, die hinter einem Ball herlaufen. Das Stadion ist doch nur ein ein übergroßer Pausenhof.“
    „‘Doch sollte man auch die Leibesübungen nicht geringschätzen‘, sagte Plutarch“, bemerkte Servaz.
    „Na dann … auf Plutarch!“
    „Claire Diemar war eine schöne Frau, nicht wahr?“
    Oliver Winshaw unterbrach seine Geste, als das Glas noch ein paar Zentimeter von seinen Lippen entfernt war. Sein blasser, sanfter Blick schien sich in einer imaginären Ferne zu verlieren.
    „Sehr.“
    „Tatsächlich?“
    „Sie haben sie doch gesehen, oder? Es sei denn … sagen Sie mir nicht, dass sie … dass sie …“
    „Sagen wir, dass sie sich nicht gerade von ihrer Schokoladenseite gezeigt hat.“
    Der Blick des alten Mannes verschleierte sich.
    „Oh mein Gott … Wir scherzen, wir trinken … Als ob nichts geschehen wäre …“
    „Haben Sie sie beobachtet?“
    „Was?“
    „Über die Mauer, wenn sie in ihrem Garten war, haben Sie sie da beobachtet?“
    „Wovon sprechen Sie, Herrgott?“
    „Sie hat sich regelmäßig gesonnt, man sieht die Umrisse von ihrem Badeanzug. Sie muss im Garten herumgeschlendert sein. Bestimmt hat sie sich in ihren Liegestuhl gelegt und im Swimmingpool gebadet, nehme ich mal an. Eine schöne Frau … Sie muss Ihnen doch hin und wieder ins Auge gefallen sein, wenn Sie an Ihrem Fenster vorbeigingen.“
    „So ein Blödsinn! Reden Sie nicht um den heißen Brei herum, Commandant. Sie wollen wissen, ob ich Voyeur gespielt habe?“
    Oliver Winshaw war nicht auf den Mund gefallen. Er zuckte mit den Schultern.
    „Offen gesagt ja, das ist vorgekommen. Ich hab hin und wieder zu ihr rübergeschielt … Na und? Sie hatte einen Wahnsinnsarsch, wenn Sie das hören wollen. Und Sie wusste es.“
    „Wie das?“
    „Dieses Mädchen war nicht von gestern, Commandant, glauben Sie mir.“
    „Bekam sie Besuch?“
    „Ja. Hin und wieder.“
    „Leute, die Sie kannten?“
    „Nein.“
    „Niemanden?“
    „Nein. Sie hatte keinen Kontakt zu den Leuten von hier. Aber diesen Burschen habe ich schon mal gesehen.“
    Der alte Herr schaute Servaz fest in die Augen. Er freute sich über das Interesse, das er bei dem Polizisten weckte.
    „Sie wollen damit sagen, dass er sie schon einmal besucht hat?“
    „Ja, genau.“
    „Wann?“
    „Vor einer Woche … Ich habe sie zusammen im Garten gesehen. Sie haben geplaudert.“
    „Sind Sie sicher?“
    „Ich bin nicht senil, Commandant.“
    „Und früher? Haben Sie ihn früher schon mal gesehen?“
    „Ja. Ich hab ihn schon gesehen.“
    „Wie oft?“
    „Gut ein Dutzend Mal. Nicht mitgerechnet die Male, wo ich ihn verpasst habe. Ich hänge schließlich nicht ständig am Fenster.“
    Servaz war vom Gegenteil überzeugt.
    „Hat sich das immer im Garten abgespielt?“
    „Ich weiß es nicht … Ich glaube nicht, nein … Ein- oder zweimal hat er wohl geläutet, und sie sind im Haus geblieben. Aber damit will ich nichts unterstellen.“
    „Wie haben Sie sich verhalten? Schienen sie vertraut miteinander zu sein?“
    „Sie meinen wie ein Liebespärchen? Nein … Vielleicht … Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Wenn Sie pikante Informationen suchen, müssen Sie sich anderweitig umtun.“
    „Ging das schon lange so?“
    Der alte Mann zuckte mit den Schultern.
    „Wussten Sie, dass er ihr Schüler war?“
    Diesmal funkelten die Augen des alten Herrn.
    „Nein, das wusste ich nicht.“
    Er nahm einen Schluck aus seinem Whisky.
    „Finden Sie das nicht ein bisschen seltsam, wenn ein Schüler seine Lehrerin allein in ihrem Haus besucht? Eine so attraktive Lehrerin?“
    „Es steht mir nicht zu, das zu beurteilen.“
    „Sprechen Sie mit Ihren Nachbarn, Monsieur Winshaw? Kursierten irgendwelche Gerüchte über sie?“
    „ Gerüchte? In einer Stadt wie Marsac? Das soll wohl ein Witz sein? Was glauben Sie denn? Ich rede kaum mit

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