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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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sollten etwas mehr auf Ihre Gesundheit achten“, sagte der Arzt, als er ihm die Nadel in den Arm stach.
    In seiner freien Hand hielt Servaz einen Becher Kaffee.
    „Was meinen Sie damit?“
    „Wie alt sind Sie?“
    „Einundvierzig.“
    „Also ich glaube, da sollten Sie sich allmählich ein bisschen um Ihre Gesundheit kümmern“, hatte er nachdrücklich erwidert. „Wenn Sie keine bösen Überraschungen erleben wollen.“
    „Was soll das heißen?“
    „Viel Sport treiben Sie ja wohl nicht, oder? Folgen Sie meinem Rat und denken Sie daran. Kommen Sie zu mir … wenn Sie Zeit haben.“
    Der Arzt war wieder gegangen – bestimmt meinte er, dass er diesen Patienten nie wiedersehen würde. Servaz aber war dieser Arzt sympathisch. Er erinnerte sich nicht, wann er das letzte Mal bei einem Arzt gewesen war, aber wenn dieser hier in Toulouse säße, wäre er seinem Rat dieses eine Mal bestimmt gefolgt.
    Er sah in die Runde. Er fasste ihnen sein Gespräch mit Van Acker und die jüngsten Erkenntnisse zusammen: das negative Ergebnis des graphologischen Vergleichs, die Fotos auf Elvis‘ Dachboden.
    „Nur weil Ihr Freund den Satz nicht in das Heft geschrieben hat, entlastet ihn das nicht automatisch“, bemerkte der Untersuchungsrichter sogleich. „Zunächst einmal kannte er die Opfer, er hatte die Gelegenheit, und er hatte ein Motiv. Wenn Sie mir sagen, dass er außerdem Kunde bei diesem Drogendealer war, dann haben wir meines Erachtens genügend Verdachtsmomente, um eine vorläufige Festnahme in Erwägung zu ziehen. Aber ich erinnere Sie auch daran, dass ich die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Paul Lacaze beantragt habe. Also, was machen wir?“
    „Das wäre reine Zeitverschwendung. Ich sage es noch einmal: Ich bin überzeugt, dass Van Acker es nicht gewesen ist.“
    Er zögerte.
    „Und ich glaube auch nicht, dass Paul Lacaze der Täter ist“, fügte er hinzu.
    „Wieso?“
    „Zum einen, weil Sie ihn bereits im Visier haben. Was sollte es ihm bringen, mir jetzt noch eine Falle zu stellen, wo er gleichzeitig nicht sagen will, wo er an dem Abend war, als Claire Diemar umgebracht wurde? Das macht keinen Sinn. Außerdem ist er nicht bei den Typen, die Elvis fotografiert hat, in seinem kleinen Katalog der Freiluft-Vögler taucht er nicht auf.“
    „Trotzdem hat er uns ein falsches Alibi präsentiert.“
    „Weil seine politische Karriere beendet wäre, wenn öffentlich bekannt würde, was er an dem Abend gemacht hat.“
    „Vielleicht ist er schwul“, äußerte Pujol.
    „Haben Sie eine Ahnung, was das sein könnte?“, fragte der Richter und ignorierte Pujols Bemerkung.
    „Nicht die geringste.“
    „Eines ist sicher“, begann der Richter.
    Sie sahen ihn an.
    „Wenn jemand auf Sie schießt, dann bedeutet das, dass Sie der Wahrheit auf der Spur sind. Und dass der Täter vor nichts zurückschrecken wird …“
    „Das wussten wir bereits“, sagte Pujol.
    „Im Übrigen“, fuhr der Richter fort, wobei er sich ostentativ an Servaz wandte, „hat der Anwalt von Hugo Bokhanowsky einmal mehr seine Freilassung beantragt. Schon morgen wird der Haftrichter das Gesuch prüfen. Es wird ganz sicher im Sinne der Verteidigung entscheiden. In Anbetracht der jüngsten Ereignisse und des gegenwärtigen Stands der Ermittlungen sehe ich keinen Grund, diesen jungen Mann weiterhin in Untersuchungshaft zu halten.“
    Servaz hütete sich zu sagen, dass er selbst ihn schon längst auf freien Fuß gesetzt hätte. Er war mit den Gedanken anderswo. Nacheinander brachen sämtliche Hypothesen, die er aufgestellt hatte, in sich zusammen. Hirtmann, Lacaze, Van Acker … Der Richter und der Mörder irrten beide: Er war der Wahrheit auf der Spur. Im Gegenteil, er entfernte sich davon. Seit dem Beginn der Ermittlungen hatten sie nie derart im Dunklen getappt. Es sei denn … Servaz sah sie nachdenklich an. Es sei denn, er war, ohne es zu bemerken, der Wahrheit ganz nah gekommen. Wie anders war es zu erklären, dass man auf ihn geschossen hatte? In diesem Fall müsste er die verschiedenen Phasen der Ermittlungsarbeit noch einmal gründlich durchgehen, um herauszufinden, in welchem Moment er womöglich ganz dicht an dem Mörder gewesen war, ohne ihn zu sehen – oder wann er ihm jedenfalls so viel Angst eingejagt hatte, dass er ein derartiges Risiko einging.
    „Ich kann es immer noch nicht fassen“, sagte der Richter plötzlich.
    Servaz warf ihm einen fragenden Blick zu.
    „Wir haben uns völlig lächerlich gemacht.“
    Servaz

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