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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Partys veranstaltete, in deren Verlauf er seine eigene Frau so mächtigen wie korrupten Männern als sexuelle Gespielin zur Verfügung stellte. Unersättlichen Männern, die wie er nach Emotionen und Sinnesfreuden jenseits aller Fesseln von Konvention und öffentlicher Moral suchten. Geschäftsleute, Richter, Politiker und Künstler. Männer mit Macht und Geld. Männer, deren Begierden keine Grenzen kannten.
    Servaz dachte an Hirtmann. Wie er heute wohl aussah? War er beim Schönheitschirurgen gewesen? Hatte er sich einfach nur Bart und Haare wachsen lassen, färbte sie und trug Kontaktlinsen? Hatte er zugenommen, seine Art zu gehen und seine Sprechweise verändert, arbeitete er? So viele Fragen … Servaz fragte sich, ob er den Schweizer wiedererkennen würde, wenn er, geschminkt und völlig anders gekleidet, in einer Menschenmenge nur wenige Zentimeter entfernt an ihm vorbeiginge – und es schauderte ihn.
    Er gab dem Techniker den Beutel mit der CD, wegen der blendenden Scheinwerfer blinzelte er.
    Sein Magen verkrampfte sich.
    Genau diesen Liedzyklus, die Kindertotenlieder , hatte Julian Hirtmann an dem Abend aufgelegt, als er seine Frau und deren Liebhaber ermordet hatte … Gleich nachdem die ersten Ermittlungsergebnisse vom Tatort und aus der Befragung der Nachbarn vorlagen, das wusste Servaz, musste er eine Reihe von Anrufen tätigen. Er hatte keine Ahnung, wieso man am Ort eines Verbrechens den Sohn einer Frau gefunden hatte, in die er lange Zeit verliebt gewesen war, und eine CD, die Erinnerungen an den fürchterlichsten Mörder weckte, der jemals seinen Weg gekreuzt hatte, aber eines wusste er: Er war nicht nur der von der Staatsanwaltschaft beauftragte Ermittler, er war auch direkt betroffen.
     
    Gegen vier Uhr morgens fuhren sie im strömenden Regen zurück nach Toulouse. Sie sperrten Hugo in eine der Gewahrsamszellen im zweiten Stock. Im Polizeipräsidium lagen die Gewahrsamszellen gegenüber den Büros auf demselben Flur – so hatten die Verhafteten nur ein paar Schritte bis in die Verhörzimmer. Die Zellen waren nicht vergittert, Tageslicht fiel durch dicke Glasbausteine. Servaz sah auf die Uhr.
    „Okay. Er soll sich ein bisschen ausruhen“, sagte er.
    „Und was machen wir dann?“, fragte Espérandieu mit einem unterdrückten Gähnen.
    „Wir haben keinen Zeitdruck. Vermerk im Gewahrsamsregister und im Vernehmungsprotokoll ganz genau die Ruhestunden. Stell sicher, dass er sie unterzeichnet – und frag ihn, ob er Hunger hat.“
    Servaz drehte sich um. Samira war dabei, ihre Waffe im Geschossfang zu entladen, einer Art gepolstertem und mit Kevlar gepanzertem Mülleimer. Um Unfälle zu vermeiden, leerten Beamte, die von ihren Einsätzen zurückkehrten, ihre Waffen in diesen Behältnissen. Im Unterschied zu den meisten ihrer Kollegen trug Samira ihr Holster auf dem Rücken. Servaz fand, dass sie damit ein wenig wie ein Cowboy aussah. Seines Wissens hatte sie noch nie von ihrer Waffe Gebrauch machen müssen, aber ihre Trefferquoten am Schießstand waren hervorragend – im Gegensatz zu ihm, der einen Elefanten auf einem Flur verfehlt hätte und seinen Lehrer zum Verzweifeln brachte; einmal hatte der ihn „Daredevil“ getauft. Da Servaz nicht zu verstehen schien, hatte ihm der Lehrer erklärt, dass Daredevil ein Comic-Superheld war, der über unglaubliche intuitive Fähigkeiten verfügte, aber blind war. Servaz selbst hatte den Geschossfang noch nie benutzt. Zum einen, weil er jedes zweite Mal seine Waffe vergaß, zum zweitenm weil er sich damit begnügte, sie wegzuschließen, wenn er von einem Einsatz zurückkam, und weil das Magazin die meiste Zeit sowieso leer war.
    Er ging über den Flur und betrat sein Büro.
    Die Nacht war noch lange nicht zu Ende, er musste noch jede Menge Papierkram erledigen. Schon der Gedanke daran deprimierte ihn. Er stellte sich ans Fenster und sah auf den im Regen liegenden Kanal. In gerade Linie lief er vor dem Polizeipräsidium und seinen drei Ziegeltürmen entlang. Draußen dämmerte es bereits, aber die Sonne war noch nicht aufgegangen. In der Scheibe sah er also ein Spiegelbild: sein eigenes. Seine Stirn, sein Mund und seine Augen waren verschwommen, aber bevor er die Zeit hatte, sich wieder zu fangen, sah er einen Gesichtsausdruck, der ihm missfiel. Den eines besorgten, angespannten Mannes. Eines Mannes, der auf der Hut war.
    „Da will einer mit dir reden“, sagte eine Stimme hinter ihm.
    Er drehte sich um. Einer der Polizisten im

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