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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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war ein guter Mensch. Ich hoffe, Sie bestrafen den, der das getan hat.“
    Sie hatte nicht finden , sondern bestrafen gesagt. Er war sich sicher, dass jeder in Marsac wusste, dass Hugo am Tatort verhaftet worden war. Er ging los. In diesem Teil des Gymnasiums war es still, der Unterricht fand anderswo statt – in den Betonklötzen auf den Wiesen und in dem ultramodernen Hörsaal, den es zu seiner Zeit noch nicht gegeben hatte. Außer Atem erreichte er das obere Ende der Wendeltreppe, die sich in dem Rundturm emporwand. Die Tür ging praktisch sofort auf. Der Schulleiter hatte eine dem Anlass angemessene, ernste Miene aufgesetzt, doch die Überraschung machte diese Bemühungen zunichte.
    „Ich kenne Sie. Sie sind …“
    „Der Vater von Margot, ja. Und außerdem leite ich die Ermittlungen.“
    Das Gesicht des Schulleiters verfinsterte sich.
    „Was für eine fürchterliche Geschichte. Und dann der Imageschaden für unsere Einrichtung: eine Lehrerin, von einem Schüler ermordet!“
    Natürlich …
    „Ich wusste nicht, dass die Ermittlungen bereits abgeschlossen sind“, sagte Servaz, als er den Raum betrat. „Und auch nicht, dass die Einzelheiten bereits veröffentlicht wurden.“
    „Hugo wurde doch im Haus von Frau Diemar festgenommen, oder? Das ist doch sonnenklar: Alles spricht gegen ihn.“
    Servaz warf ihm einen Blick zu, der die Temperatur von flüssigem Stickstoff hatte.
    „Ich kann verstehen, dass Sie sich einen zügigen Abschluss dieser Ermittlungen wünschen“, sagte er. „Im Interesse dieser Schule …“
    „Ganz genau.“
    „Aber lassen Sie uns unsere Arbeit machen. Sie werden verstehen, dass ich Ihnen nicht mehr sagen kann.“
    Errötend schüttelte der Schulleiter heftig den Kopf.
    „Ja, ja. Natürlich, natürlich … Das versteht sich von selbst … Selbstverständlich, selbstverständlich.“
    „Erzählen Sie mir von ihr“, sagte Servaz.
    Der korpulente Mann sah geradezu panisch aus.
    „Was … was wollen Sie wissen?“
    „War sie eine gute Lehrerin?“
    „Ja … Nun … Wir waren mit ihren pädagogischen Methoden nicht immer einverstanden … aber die Schüler … die Schüler … mochten sie.“
    „Wie war ihre Beziehung zu den Schülern?“
    „Wie … Was meinen Sie damit?“
    „War sie vertraut mit ihnen? Distanziert? Streng? War es ein freundschaftliches Verhältnis? Für Ihren Geschmack vielleicht allzu vertraut? Sie haben gerade gesagt, dass die Schüler sie mochten.“
    „Es war ein normales Verhältnis.“
    „Ist es möglich, dass einer der Schüler oder Lehrer ihr etwas verübelt hat?“
    „Ich verstehe nicht, worauf Sie hinaus wollen.“
    „Sie war eine hübsche Frau. Vielleicht haben Kollegen oder auch Schüler sie umworben. Hat sie Ihnen nie von irgendwelchen Vorkommnissen dieser Art berichtet?“
    „Nein.“
    „Keine unangemessenen Beziehungen zu Schülern?“
    „Hm. Nicht dass ich wüsste …“
    Der Unterschied zwischen den beiden Antworten fiel Servaz gleich auf. Er nahm sich vor, diese Frage später zu vertiefen.
    „Könnte ich ihr Büro sehen?“
    Der dicke Mann nahm einen Schlüssel aus einer Schublade und watschelte mit schweren Schritten zur Tür.
    „Folgen Sie mir.“
    Sie gingen eine Etage tiefer, dann durch einen Gang. Servaz wusste noch, wo sich die Büros der Lehrer befanden. Nichts hatte sich verändert. Der gleiche Wachsgeruch, dieselben weißen Wände, dieselben knarrenden Dielen.
    „Oh!“, entfuhr es dem Schulleiter plötzlich.
    Servaz folgte seinem Blick und entdeckte einen bunten Haufen am Fuß einer der Türen: Blumensträuße, kurze Beileidssprüche, die auf zweimal gefaltete Zettel geschrieben oder gedruckt waren, manche eingerollt in bunte Bänder, einige Kerzen auf dem gebohnerten Holzfußboden. Die beiden sahen sich an, und einen Moment lang herrschte eine gewisse Feierlichkeit. Das war ruck zuck gegangen, Servaz ahnte, dass sich die Neuigkeit bereits in den Schlafsälen herumgesprochen hatte. Er bückte sich nach einem der Zettel und faltete ihn auseinander. Ein paar Wort in violetter Tinte: „Ein Licht ist erloschen. Aber in uns wird es immer weiterleuchten. Danke.“ Sonst nichts … Das rührte ihn seltsam an. Die anderen las er nicht, das würde er jemand anderem auftragen.
    „Was halten Sie davon? Was soll ich damit tun?“
    Der Tonfall des Schulleiters war eher gelangweilt als bewegt.
    „Rühren Sie nichts an“, antwortete Servaz.
    „Und wie lange soll ich das liegen lassen? Ich bin mir nicht sicher, ob das den anderen

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