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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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kurz inne.
    „Ja, warum?“
    Servaz zeigte seinen Dienstausweis vor.
    „Ich leite die Ermittlungen in diesem Todesfall.“
    „Scheiße, Sie sind Polizist?“
    Das kam ganz ohne Feindseligkeit. Eher aus Verblüffung. Unwillkürlich lächelte Servaz.
    „Sie sagen es.“
    „Wir alle sind total erschüttert. Sie war wirklich einer super Lehrerin. Alle mochten sie. Aber …“
    Der junge Mann senkte den Kopf und betrachtete die Spitzen seiner Turnschuhe. Als er ihn wieder hob, las Servaz in seinen Augen ein vertrautes Leuchten, wie er es von den Angehörigen von Angeklagten kannte: eine Mischung aus Nervosität, Unverständnis und Ungläubigkeit. Die Weigerung, das Undenkbare zuzugeben.
    „Ich kann einfach nicht glauben, dass Hugo das getan hat. Das ist unmöglich. Das passt überhaupt nicht zu ihm.“
    „Kennen Sie ihn gut?“
    „Er ist einer meiner besten Freunde.“
    Die Augen des jungen Mannes glänzten leicht. Er war den Tränen nahe.
    „Waren Sie gestern Abend mit ihm in dieser Kneipe?“
    David erwiderte standhaft seinen Blick.
    „Ja.“
    „Erinnern Sie sich, um wie viel Uhr er gegangen ist?“
    David warf ihm diesmal einen vorsichtigeren Blick zu. Diesmal dachte er lieber nach, ehe er antwortete.
    „Nein, aber ich erinnere mich, dass er sich nicht wohl fühlte. Dass er sich ... seltsam fühlte.“
    „Hat er dieses Wort benutzt? Seltsam? “
    „Ja, er war nicht auf dem Damm.“
    Servaz hielt den Atem an.
    „Sonst hat er Ihnen nichts gesagt?“
    „Nein, nur dass er sich wirklich nicht gut fühlt … und lieber nach Hause geht. Wir waren alle … überrascht. Weil das Fußballspiel … das Fußballspiel gleich anfangen sollte.“
    Der junge Mann hatte am Schluss gezögert, weil ihm aufging, dass das, was er sagte, seinen Freund noch tiefer hineinreiten könnte. Servaz dagegen ging es um etwas ganz anderes. Hatte Hugo diesen Vorwand benutzt, um sich fortzustehlen und Claire Diemar aufzusuchen – oder war er wirklich krank gewesen?
    „Und dann?“
    „Was und dann?“
    „Er hat die Kneipe verlassen, und Sie haben ihn nicht mehr wiedergesehen?“
    Der junge Mann zögerte abermals.
    „Ja, genau …“
    „Ich danke Ihnen.“
    Er sah, dass David besorgt war und sich Gedanken darüber machte, wie man seine Worte interpretieren könnte.
    „Er war es nicht“, entfuhr es ihm. „Davon bin ich fest überzeugt. Wenn Sie ihn genauso gut kennen würden wie ich, wüssten Sie das.“
    Servaz nickte.
    „Er ist ein brillanter Kopf“, beteuerte er, wie wenn das Hugo helfen könnte. „Voller Begeisterung und Lebenslust. Eine Führernatur, jemand, der fest an seinen Glücksstern glaubt und der andere mitreißen kann. Er fühlt sich wohl in seiner Haut. Ein treuer Freund. Diese Tat passt einfach nicht zu ihm!“
    Die Stimme des jungen Mannes bebte, als er über seinen Freund sprach. Er wischte sich das Wasser ab, das zu seiner Nasenspitze lief. Dann machte er kehrt und stapfte mit gesenktem Kopf davon.
    Servaz sah ihm eine Weile nach.
    Er wusste, was David meinte. So einen Hugo hatte es in Marsac immer gegeben: einen, der noch begabter, noch brillanter, noch hervorragender und noch selbstsicherer war als die anderen, einen, der sämtliche Blicke auf sich zog und seine eigene Fangemeinde hatte. Zu Servaz´ Zeit hieß dieser Mensch Francis Van Acker.
    Er sah nach, wer ihn angerufen hatte. Die digitale Spurensicherung. Er rief zurück.
    „Ihr Passwort ist gespeichert“, sagte die Stimme. „Jeder hätte auf ihre E-Mails zugreifen können. Und jemand hat sie alle gelöscht.“

12
     
    Van Acker
    An einen Baum gelehnt blieb in der Nähe des Betonklotzes stehen und fischte eine weitere Zigarette aus der Schachtel. Die Stimme erreichte ihn durch die geöffneten Fenster. Unverändert. Dieselbe Stimme wie vor fünfzehn Jahren. Man brauchte sie nur zu hören, um zu wissen, dass man es mit einem dünkelhaften Menschen von Furcht einflößender Geisteskraft zu tun hatte.
    „Was ich da lese, sind die Auswürfe einer Bande von Halbwüchsigen, die nicht in der Lage sind, über den Tellerrand ihrer winzigen emotionalen Welt hinauszublicken. Schulmeisterei, Sentimentalität, Masturbation und Akne. Verdammt! Halten Sie sich euch für Genies? Wachen Sie auf! Da drin steckt keine einzige originelle Idee.“
    Servaz steckte sich die Zigarette an und klappte den Deckel des Feuerzeugs zu – bis Francis Van Acker seine deklamatorische Pose beendet hatte.
    „Nächste Woche werden wir uns parallel mit drei Büchern beschäftigen:

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