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Kindheitsmuster

Kindheitsmuster

Titel: Kindheitsmuster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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zu bestimmten staatlichen Losungen befragt hätte. Was er beispielsweise von der Parole halte: »Mit der Neuordnung der Fettwirtschaft setzt ein Generalangriff gegen die Auslandsfette ein!« Oder: »Das Volk muß wieder kaufen können. Kaufen ist die Hauptaufgabe.«
    »Wer jetzt kauft, am Aufbau hilft!«
    »Wenn aus dem Kasten springt die Mark, wird Arbeit, Wirtschaft, Umsatz stark!«
    Ausrufezeichen, hinter die Bruno Jordan nur sein eigenes Ausrufezeichen hätte dazusetzen können. Übrigens liegt in schnell wechselnden Zeiten wie den unseren der technische Fortschritt – zum Beispiel der, daß man Stimme, Gesicht und Meinung jedes x-beliebigen über die Jahrzehnte hin auf Zelluloidkonserven bannen kann – nicht immer im Interesse des kleinen Mannes von der Straße. (Noch weniger übrigens im Interesse der großen Männer: Vor zwei Jahren – beweist der Fernsehschirm – hat Präsident Nixon sich einfach nicht zu den Anschuldigungen äußern wollen, daß er Truppen vor der Südgrenze von Laos konzentriere.)
    Du schlugst dir den Hinterkopf so nachdrücklich an einer Eisenkante, daß wieder Tage durch Kopfschmerzen, Arztbesuch und Röntgen verloren – oder, wie duheimlich fühltest: gewonnen – waren. Euer Freund F., der mit seinem Herzinfarkt im Krankenhaus lag, sagte dir unverschämt grinsend auf den Kopf zu, auch du habest gewiß Herzschmerzen: Was ausgerechnet ihm, der soeben sechzig Stunden lang an einem Tropf zur Blutverdünnung gehangen hatte, nicht zur Beurteilung unterlag. Ihr kamt ins Streiten, worauf er es angelegt hatte. Und erst als euch am Schluß noch die üblichen Vorwürfe und Ermahnungen an einen Kranken einfielen, sagte er, man müsse immer gegen den Schafpferch anrammeln. Sonst wachse er auf einen zu.
    Den Schlaf, der natürlich nachließ, versuchtest du nach der Schoberschen Methode zu erzwingen, die, anders als das autogene Training, auf einer Ermüdung des Geistes durch Überanstrengung beruht. Man zwingt sich, einen Satz – den ersten besten übrigens – mit einer bis zum Schmerz sich steigernden Intensität zu denken, um ihn auf dem Höhepunkt, in voller Fahrt sozusagen, schockhaft abzubremsen. Dies vier-, fünfmal wiederholt, mit jeweils anderen Sätzen – so Professor Schober –, führe zu völliger Erschöpfung und daher mit Sicherheit zum Schlaf.
    Dir fallen Sätze ein: Der grüne Baum kommt auch schon. Himmel, ich sehe dich gerne an. Dreimal werden wir noch wach. Alle reden mir zu. – Dann warst du auch schon wohlverwahrt – so dachtest du – in einem alten Haus mit abgebrauchten Möbeln. Kein Stück bekannt, aber alles vertraut. Durch die Tür siehst du über Feld und Wiese eine Frau auf dich zugerannt kommen, die von einem blindwütigen Mann verfolgt wird. Unendlich langsam, dieses Näherkommen in Zeitlupe. Keine Hilfe möglich, kaum daß du ihr winken kannst.Endlich steht sie auf der Schwelle, dicht hinter ihr der Mann, sein keuchender Atem streift ihren Nacken und dein Gesicht. Gerade noch, in letzter Anstrengung, kannst du die Tür zuschlagen, den Schlüssel umdrehn. Er, draußen, wummert gegen das morsche Holz, tritt es mit Füßen und wirft sich mit seinem ganzen gewichtigen Körper dagegen. Ihr angstvollen Frauen wißt nicht, ob der schwache Riegel standhalten wird.
    Beim Erwachen lagst du auf der linken Seite, die du im Schlaf zu meiden hast, die Beine angezogen, daß sie schmerzten, die Arme taub, eingeschlafen. Lange Zeit verbrachtest du damit, dir sichere Riegel und festere Türen vorzustellen. Für jenes einsame Haus wäre, dachtest du, eine innere Doppeltür aus starkem hellem Holz das beste gewesen, die man mit Schlüssel und eisernem Riegel zuverlässig hätte absperren können. H. aber hielt dir ein halbes Dutzend Techniken entgegen, denen es heutzutage ein leichtes ist, durch jede Tür zu kommen – als Bild, als Gerücht, als allgegenwärtiges Ohr; er empfahl, von den Verbarrikadierungswünschen abzusehen und sich auf ein Leben mit weit offenen Türen einzurichten, das am ehesten, wie die Dinge einmal lägen, den Schutz der wenigen verbergenswerten Geheimnisse garantiere. Am gleichen Tag sagtest du die einzige vielleicht wichtige Sitzung des Monats unter einem Vorwand ab und wandtest dich endgültig deinen Papieren zu.
    An dieser Stelle kann, so gut wie anderswo, berichtet werden von der Entdeckung des Herzens, die Nelly in eine ganz ungewöhnliche Aufregung versetzte. Das Herz war einer der wenigen versteckten Körperteile, dessen Entdeckung nicht nur

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