Kindspech: Tannenbergs achter Fall
Hauptkommissar Tannenberg hier«, erwiderte der Kriminalbeamte unter bewusster Nennung seiner Berufsbezeichnung. Damit wollte er von vornherein auf den förmlichen Charakter des Gesprächs verweisen.
Die kecke Sachbearbeiterin ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken. »Wissen Sie eigentlich, dass Ihr Name aus der DDR kommt? Bei uns im Erzgebirge gibt es nämlich eine Gemeinde dieses Namens.«
»Meine Familie stammt aus Österreich«, rutschte es dem Kriminalbeamten unwillkürlich über die Lippen.
Diese Antwort kam deshalb quasi vollautomatisch, weil Jacob ihn und Heiner bezüglich dieses Themas von Kind auf regelrecht indoktriniert hatte. Sein Vater stand mit der Ostzone, wie er die neuen Bundesländer nur abschätzig nannte, zeitlebens auf Kriegsfuß. Eigentlich wusste niemand den Grund für diese ausgeprägte Aversion, und er selbst äußerte sich zu dieser Frage grundsätzlich nicht. Er schimpfte immer nur wie ein Rohrspatz und verkündete anhand der von ihm durchgeführten Ahnenforschung, dass die Kaiserslauterer Tannenbergs nach dem Dreißigjährigen Krieg von Österreich aus in die Pfalz eingewandert seien.
»Was gibt es Neues?«, wechselte Tannenberg das Thema. »Konnten Sie inzwischen die Namen der Adoptiveltern von Knut Mattissen ausfindig machen?«
»Was würden Sie denn springen lassen, wenn es so wäre?«
»Kommen Sie bitte zur Sache.«
»Die haben einfach keinen Humor, diese Wessis«, gab die Frau, offensichtlich an eine Kollegin gerichtet, zurück.
»Na, sagen Sie schon, haben Sie eine Spur zu ihnen entdeckt?«
»Aber sicher doch, Chef. Ich hatte Ihrem Kollegen gesagt, dass ich Knut Mattissen betreffend nur einen einzigen Aktenvermerk gefunden habe, nämlich den, dass er am 9. April 1959 adoptiert wurde.«
»Ja, das wissen wir doch alles schon.«
Wieder an eine Kollegin gewandt, sagte sie: »Ungeduldig sind sie auch noch, diese Besserwessis.«
»Bitte, bitte, liebe Frau, lassen Sie endlich die Katze aus dem Sack«, bettelte der Kriminalbeamte mit einer herzerweichenden Klangfärbung versetzt. »Bei uns geht es wirklich um Leben und Tod.«
»Also gut, dann will ich mal nicht so sein«, zeigte sich die Sachbearbeiterin ungewohnt gönnerhaft. »Gleich nach Dienstbeginn habe ich im Jugendamt unserer Stadt angerufen und mir die Adoptionsstelle geben lassen. Die Kollegin war sehr freundlich und hat mir versprochen, umgehende Nachforschungen bezüglich der Adoptionssache Knut Mattissen anzustellen. Vor einer Viertelstunde hat sie sich gemeldet. – Haben Sie etwas zu schreiben?«
»Selbstverständlich«, antwortete Tannenberg, während er ins Wohnzimmer zu seiner Jacke hastete und mit einer Hand Kuli und Notizblock herauszerrte.
»Gut. Also: Die Adoptiveltern des kleinen Knut Mattissen hießen Almut und Siegbert Wischnewski«, fuhr die Frau unterdessen fort. Sie lachte auf. »Wahrscheinlich heißen sie sogar immer noch so. – Haben Sie das?«
»Ja«, hechelte der Kriminalbeamte.
»Sie schnaufen ja wie ein Walross. Joggen Sie gerade, oder was?«
»Nein. Bitte machen Sie weiter.«
»Gerne. Für Sie tue ich doch fast alles, mein Lieber. Ich habe übrigens in unserem Telefonbuch nachgeschaut. Aber in Rostock wohnt nicht einer dieser Wischnewskis.«
»Macht nichts. Haben Sie noch etwas rausgekriegt?«
»Nein, das war’s im Augenblick.«
»Gut, vielen Dank, Sie haben uns wirklich sehr geholfen. Und bitte seien Sie so lieb und melden sich sofort, falls Sie noch etwas finden sollten«, säuselte der beurlaubte Leiter des K 1 und drückte die Unterbrechertaste.
Unmittelbar darauf telefonierte er mit Sabrina und bat sie, umgehend in dem ›POLAS‹ genannten polizeilichen Auskunftssystem die relevanten Personendaten abzufragen. Nach etwa fünf Minuten quälenden Wartens meldete sich seine junge Mitarbeiterin. Ihre Recherche im Einwohnerinformationssystem des BKA hatte Adresse und Telefonnummer einer gewissen Almut Wischnewski zutage gefördert. Sie wurde am 23. April 1932 geboren und wohnte in Wismar. Ihr Ehemann Siegbert war bereits verstorben. Das Ehepaar hat ein gemeinsames Kind: Knut Wischnewski, geboren am 14.3.1956 in Rostock – 1990 ausgewandert nach Thailand.
»Ausgewandert – so ein Shit«, grummelte Tannenberg vor sich hin. Dann wählte er die Telefonnummer, die er auf seinen Terminkalender gekritzelt hatte. Er zählte die Ruftöne: 9, 10, 11.
»Wischnewski«, hauchte endlich eine dünne Stimme.
»Guten Tag, Frau Wischnewski. Hier spricht Wolfram Tannenberg von der
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