Kindspech: Tannenbergs achter Fall
murmelte er.
Sein Blick klebte auf dem flimmernden Monitorbild: Es zeigte ein kleines Mädchen, das in seinem Gitterbettchen stand und hinunter zu dem ansteigenden Wasserpegel blickte.
Jammerschade, dass ich nachher nicht dabei sein kann, wenn das Wasser die Matratze erreicht und höher und höher steigt. Was Emma wohl gerade denken mag? Versteht sie überhaupt, was da mit ihr passiert, oder freut sie sich vielleicht sogar auf das Wasser? Hat sie Angst? Kann ein Kleinkind Todesangst empfinden?
Er seufzte tief.
Ich würde wirklich liebend gerne wissen, was in diesem kleinen Köpfchen vorgeht. Vor allem später, wenn das Wasser immer weiter steigt. Eigentlich schade, dass es nachher einen Kurzschluss geben wird, wenn das Wasser die Deckenlampe erreicht. Ob die süße Kleine durch einen Stromschlag sterben wird? Er brummte nachdenklich. Na ja, ihr Patenonkel ist ja Gerichtsmediziner. Der kann die Todesursache sicherlich zweifelsfrei klären.
Sein schallendes Lachen brachte die Luft zum Erzittern.
Wirklich schade um sie. Eigentlich mag ich ja Kinder. Aber Emma ist eben nun mal das entscheidende Mittel zum Zweck, quasi das notwendige Damenopfer, um den König schachmatt setzen zu können.
Obwohl: Tannenberg als König zu bezeichnen – das wäre wohl ein wenig zu viel der Ehre. Sollte ich nicht einen Fernsehsender über das Finale Grande informieren? Die würden diesen Showdown vielleicht sogar live übertragen, die privaten Sender bestimmt. Was die wohl für solch einen spektakulären Event zu zahlen bereit wären?
Er lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück, faltete die Hände hinter dem Kopf und dehnte den Oberkörper. Als sein Blick zum Monitor zurückkehrte, sah er, wie Emma an den Gitterstäben zu rütteln begann. Dazu schrie sie laut. Er drehte den Lautstärkeregler des Babyfons herunter und schmunzelte versonnen.
»Ja, ja, mein süßes Schätzchen, schrei du nur, so viel du willst. Dich wird niemand hören. Tobe dich noch einmal richtig aus und genieße die verbleibende Zeit. Es sind die letzten Stunden deines Lebens.«
18 Uhr 35
Wolfram Tannenberg suchte nun schon seit über einer Viertelstunde den Hang ab. Die Plastikflasche hatte er ziemlich schnell gefunden, aber der weggeworfene Kugelschreiber stellte ihn vor enorme Probleme. Es dauerte weitere zehn Minuten, bis er ihn endlich entdeckte: Er war unter einen dicken kahlen Ast gerutscht und hatte nur mit der Spitze darunter hervorgelugt.
Dieser Mistkerl beobachtet mich die ganze Zeit über, dachte er und spähte vorsichtig nach allen Seiten. Aber wenn er mich verfolgt, müsste er mir doch inzwischen aufgefallen sein. Obwohl, sein Zwillingsbruder hat mich damals ja auch auf Schritt und Tritt beobachtet, und ich hab’s nicht gemerkt.
Der hatte mich sogar hier irgendwo im Wald mit seinem Mountainbike fast über den Haufen gefahren. Das war eines seiner fiesen Spielchen, mit denen er mir seine Überlegenheit demonstrieren wollte. Zum damaligen Zeitpunkt hab ich ja noch nicht einmal geahnt, dass er der Frauenmörder sein könnte. Deshalb hab ich ihn sicherlich auch nicht erkannt.
Aber jetzt weiß ich, wie der Täter aussieht, nämlich genau wie Lars Mattissen, sein eineiiger Zwilling. Verstohlen blickte er sich abermals um, konnte jedoch niemanden ausmachen. Dieser Knut hält sich garantiert in sicherer Entfernung versteckt und beobachtet mich mit einem Fernglas. Der weiß ja auch immer, wo ich wann auftauchen werde, schließlich werde ich von ihm quasi ferngesteuert.
Was ist das nur für ein Mensch, dieser Knut Wischnewski? Kann man solch ein perverses Dreckschwein wie ihn überhaupt noch als Menschen bezeichnen? Einen, der ein kleines unschuldiges Kind in einen Käfig sperrt und den Raum, in dem es sich befindet, mit einem Wasserschlauch flutet. Damit es irgendwann jämmerlich ertrinken wird.
In Tannenberg schäumten mächtige Wogen der Wut auf. »Du bist nicht mal ein wildes Tier!«, fauchte er. »Denn welches Tier würde so etwas tun? Du bist eine Bestie, vor der man die Menschheit beschützen muss! Am besten dadurch, dass man dich tötet!«
Er erinnerte sich an die mysteriöse Rechenaufgabe. So ein Scheiß! Was soll ich denn mit diesen unvollständigen Informationen anfangen? Das sind doch alles nur Bruchstücke. Ohne Angaben zur Fließgeschwindigkeit kann ich niemals den Zeitpunkt ausrechnen, an dem … Er verscheuchte diesen furchterregenden Gedanken, indem er trotzig zu rechnen anfing: Wie lange dauert es wohl, bis man einen
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