Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
Wurzelfäule eingehen. Ich wollte dabeisein, wenn sie eine neue aufhängte.
Ich fuhr zurück in meine Wohnung und warf ein paar Notizen 1 hin. Da es erst Viertel vor fünf war, schlüpfte ich in meinen Joggingdreß: Shorts und ein altes baumwollenes Rollkragenhemd. Ich bin wirklich kein Trimm-dich-Befürworter. Ich bin vielleicht nur einmal in meinem Leben in Form gewesen, und zwar, als ich mich für die Polizeischule qualifizierte, doch das Laufen hat etwas an sich, das eine masochistische Ader befriedigt. Es tut weh, und ich bin langsam, aber ich habe gute Schuhe und rieche meinen Schweiß gern. Ich laufe auf den anderthalb Meilen Gehsteig, die dem Strand folgen. Normalerweise ist die Luft dort etwas feucht und sehr sauber. Palmen säumen die breite Grasfläche zwischen dem Gehsteig und dem Sand, und immer sind auch andere Jogger da, die meistens sehr viel besser aussehen als ich. Ich machte zwei Meilen und hatte genug. Meine Waden schmerzten. Mein Brustkorb brannte. Ich schnaufte und keuchte, beugte mich aus der Taille vor, malte mir aus, daß alle möglichen Giftstoffe durch meine Poren und Lungen herausgepumpt wurden, eine richtige Entschlackung. Ich ging einen halben Block, und dann hörte ich ein Auto hupen. Charlie Scorsoni hielt am Straßenrand, in einem hellblauen 450 SL, der ihm sehr gut stand. Ich wischte mein nasses Gesicht am Hemdsärmel ab und ging zu seinem Wagen hinüber.
»Sie haben ganz rote Backen«, sagte er.
»Ich seh immer aus, als kriegte ich einen Anfall. Sie müßten mal sehen, was ich für Blicke einfange. Was tun Sie hier unten?«
»Ich habe Schuldgefühle. Weil ich Sie gestern nicht ausreden ließ. Hüpfen Sie rein.«
»Bloß nicht.« Ich lachte, während ich immer noch versuchte, zu Atem zu kommen. »Ich bin viel zu verschwitzt für Ihr Auto.«
»Und wenn ich Ihnen bis zuhause nachfahre?«
»Ist das ihr Ernst?«
»Klar«, sagte er. »Ich dachte, ich bin mal besonders nett, damit Sie mich nicht auf die Liste Ihrer möglichen Täter setzen.«
»Nützt nichts. Ich verdächtige jeden.«
Als ich aus der Dusche kam und meinen Kopf zur Badezimmertür rausstreckte, sah Scorsoni sich gerade die Bücher an, die sich auf meinem Schreibtisch stapelten. »Hatten Sie Zeit, die Schubladen zu durchsuchen?« fragte ich.
Er lächelte treuherzig. »Sie waren abgeschlossen.«
Ich lächelte und schloß die Badezimmertür wieder, um mich anzuziehen. Mir fiel auf, daß ich mich freute, ihn zu sehen, und das paßte nicht zu mir. Ich bin knallhart, was Männer angeht. Ich denke nicht oft, daß ein Mann von achtundvierzig Jahren »süß« ist, aber so kam er mir vor. Er war groß und hatte hübsche Locken in den Haaren, die randlose Brille brachte seine blauen Augen fast zum Leuchten. Das Grübchen in seinem Kinn schadete auch nichts.
Ich verließ das Bad und ging barfüßig zur Kochnische. »Möchten Sie ein Bier?«
Er saß inzwischen auf der Couch, blätterte in einem Buch über Autodiebstahl. »Sehr erlesener Geschmack«, sagte er. »Kann ich Sie nicht zu einem Drink einladen?«
»Ich muß um sechs wohin«, sagte ich.
»Dann tut’s auch ein Bier.«
Ich öffnete eins, gab es ihm und setzte mich mit untergeschlagenen Beinen an das andere Ende der Couch. »Sie müssen extra früher aus dem Büro sein. Ich bin geschmeichelt.«
»Ich geh heute abend noch mal hin. Ich habe einige Tage auswärts zu tun. Dafür muß ich meine Aktentasche packen und auch für Ruth noch ein paar Kleinigkeiten in Ordnung bringen.«
»Warum nehmen Sie sich dann Zeit für mich?«
Scorsoni gab mir ein spöttisches Lächeln mit einem kaum merklichen Anflug von Gereiztheit. »Gott, wie kratzbürstig. Warum soll ich mir keine Zeit für Sie nehmen? Wenn Nikki Laurence nicht ermordet hat, dann liegt mir eben auch daran, herauszufinden, wer es war und weiter nichts.«
»Sie glauben doch keine Sekunde, daß sie unschuldig ist.«
»Ich glaube, daß Sie es glauben«, erwiderte er.
Ich schaute ihn ernst an. »Ich kann Ihnen keine Informationen geben. Das verstehen Sie hoffentlich. Ich könnte jede Hilfe Ihrerseits gebrauchen, und wenn Sie einen guten Einfall haben, würde ich den sehr gern hören, aber es kann nicht gegenseitig sein.«
»Wollen Sie einen Anwalt über Klientenrechte belehren, ja? Du meine Güte, Millhone. Geben Sie mir eine Chance.«
»Schon gut, schon gut. Entschuldigung«, sagte ich. Ich sah auf seine großen Hände hinunter und wieder hoch in sein Gesicht. »Ich wollte mich nur nicht aushorchen lassen,
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