Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
Wangenknochen, ansprechende Züge um den Mund, einen Teint, der auf Gesundheit ohne Eitelkeit schließen ließ.
»Wie dachten Sie über Nikki?« fragte ich.
»Ich bin mir nicht ganz sicher. Ich meine, damals konnte ich sie auf den Tod nicht ausstehn, aber ich würde gern irgendwann mal mit ihr reden. Ich habe das Gefühl, wir könnten uns sehr viel besser verstehen. Möchten Sie wissen, warum ich ihn geheiratet habe?«
»Das würde mich interessieren.«
»Er hatte einen großen Schwanz«, sagte sie spitzbübisch und lachte dann. »Entschuldigung. Ich konnte dem nicht widerstehen. Tatsächlich war er schrecklich im Bett. Eine richtiggehende Fickmaschine. Fabelhaft, wenn Sie auf entpersönlichten Sex stehen.«
»Ich bin da nicht so verrückt drauf«, sagte ich trocken.
»War ich auch nicht, als ich dahinterkam. Ich war noch Jungfrau, als ich ihn heiratete.«
»Meine Güte«, sagte ich. »Das ist hart.«
»Seinerzeit war’s noch viel härter, das gehörte aber alles zu der Botschaft, mit der ich großgezogen worden bin. Ich dachte immer, es wäre mein Fehler, daß unser Sexualleben nicht stimmte...« Sie brach ab, und ein klein wenig Farbe stieg in ihre Wangen.
»Bis wann«, tastete ich vor.
»Vielleicht sollte ich auch Wein trinken«, sagte sie und signalisierte der Kellnerin. Ich bestellte ein zweites Glas. Gwen wandte sich mir zu.
»Ich hatte eine Affäre, als ich dreißig wurde.«
»Das zeigt, Sie hatten wenigstens etwas Verstand.«
»Also, ja und nein. Es hielt nur etwa sechs Wochen, aber das waren die besten sechs Wochen meines Lebens. In gewisser Hinsicht war ich froh, als es zu Ende ging. Es war eine starke Erfahrung, und sie hätte mein Leben auf den Kopf gestellt. So weit war ich nicht.« Sie zögerte, und ich konnte sehen, wie sie die Informationen in ihrem Kopf durchging. »Laurence war immer sehr kritisch mir gegenüber, und ich glaubte das auch zu verdienen. Dann begegnete ich einem Mann, der meinte, ich sei über jeden Tadel erhaben. Zuerst widerstand ich. Ich wußte, was ich für diesen Mann empfand, aber es ging mir gegen den Strich. Zuletzt gab ich doch nach. Eine Zeitlang redete ich mir ein, es sei gut für meine Beziehung zu Laurence. Ich bekam auf einmal etwas, das ich seit langem gebraucht hatte, und so konnte ich mich auch auf ihn mehr einlassen. Dann begann das Doppelleben seinen Tribut zu fordern. Ich betrog Laurence, solange ich konnte, aber er schöpfte Verdacht, daß da etwas im Gange war. Ich war bald so weit, daß ich seine Berührung nicht mehr ertragen konnte — zuviel Streß, zuviel Lüge. Zuviel Gutes anderswo. Er muß die Veränderung bei mir gespürt haben, denn er fing an zu bohren und mich auszufragen, wollte wissen, wo ich jede einzelne Minute am Tag war. Nachmittags rief er zu Hause an, und natürlich war ich fort. Selbst wenn ich mit Laurence zusammen war, war ich woanders. Er drohte mir mit Scheidung, und ich kriegte einen Schreck, also gestand ich alles. Das war der größte Fehler meines Lebens, weil er sich trotzdem scheiden ließ.«
»Zur Strafe.«
»Wie nur Laurence Fife das konnte. Drakonisch.«
»Wo ist er jetzt?«
»Mein Liebhaber? Warum fragen Sie?«
Ihr Ton war augenblicklich zurückhaltend, ihr Gesichtsausdruck argwöhnisch.
»Laurence muß gewußt haben, wer er war. Wenn er Sie bestraft hat, warum den anderen dann nicht gleich mit?«
»Ich möchte ihn keinem Verdacht aussetzen«, sagte sie. »Das wäre schäbig von mir. Er hatte mit dem Tod von Laurence nichts zu tun. Das gebe ich Ihnen schriftlich.«
»Wie können Sie so sicher sein? Damals haben sich eine Menge Leute in vielen Dingen geirrt, und Nikki hat dafür bezahlt.«
»Hey«, sagte sie scharf. »Nikki ist von dem besten Verteidiger des Staates vertreten worden. Vielleicht hat sie hier und da Pech gehabt, vielleicht auch nicht, aber es hat keinen Zweck, die Schuld jemandem zuschieben zu wollen, der nichts damit zu tun hatte.«
»Ich will niemandem was zuschieben. Ich versuche nur, die Sache in den Griff zu kriegen. Ich kann sie nicht zwingen, mir zu sagen, wer er ist...«
»Ganz recht, und ich glaube, Sie dürften Ihre liebe Mühe haben, das von jemand anders zu erfahren.«
»Hören Sie, ich bin nicht hier, weil ich Streit mit Ihnen suche. Es tut mir leid. Lassen wir das jetzt.«
Zwei rote Flecke erschienen auf ihrem Hals. Sie kämpfte gegen Zorn an, versuchte ihre Selbstbeherrschung wiederzuerlangen. Einen Moment dachte ich, sie würde davonlaufen.
»Ich dränge Sie nicht«, sagte
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