Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
kassiert.«
»Hat sie ihn erpreßt ?«
»Nicht um Dollars. Um ihren Lebensunterhalt. Die konnte nicht tippen. Sie konnte ja kaum ihren Namen schreiben. Sie wollte nur Rache nehmen, also erscheint sie jeden Tag zur Arbeit und tut, wozu sie gerade Lust hat, und dreht ihm eine lange Nase. Er hat alles gefressen, was sie ihm aufgetischt hat.«
»Könnte sie ihn umgebracht haben?«
»Klar, warum nicht? Vielleicht nutzte der Spaß sich ab, oder vielleicht war es ihr einfach nicht genug, jede Woche sein Geld einzustreichen.« Sie unterbrach sich und drückte mit einer Reihe ungeschickter Stupser die Glut an ihrer Zigarette aus. Sie lächelte verschlagen zu mir herüber.
»Ich hoffe, Sie halten mich nicht für unhöflich«, sagte sie mit einem Blick zur Tür. »Aber die Konferenz ist um. Mein geschätzter Gatte, der gute Richter, muß jeden Augenblick heimkommen, und da möchte ich nicht erklären müssen, was Sie in meinem Haus machen.«
»Nur fair«, sagte ich. »Ich finde alleine raus. Sie waren eine große Hilfe.«
»Garantiert.« Sie erhob sich, wobei sie ihren Drink mit einem widerhallenden Knall auf die Glasplatte des Tisches setzte. Nichts war passiert, und mit einem langen erleichterten Blick erholte sie sich von dem Schrecken.
Sie musterte kurz mein Gesicht. »In ein paar Jahren müssen Sie sich die Augen machen lassen. Im Moment sind Sie okay«, erklärte sie.
Ich lachte. »Ich mag Falten«, sagte ich. »Ich verdiene mir meine. Trotzdem, vielen Dank.«
Ich ließ sie auf dem Patio zurück und ging um das Haus herum zu meinem Wagen. Die Unterhaltung hatte mir nicht so ganz behagt, und ich war froh, daß ich fortkam. Charlotte Mercer war gerissen und scheute sich womöglich nicht, ihre Betrunkenheit als Mittel einzusetzen. Vielleicht hatte sie die Wahrheit gesagt, vielleicht auch nicht. Irgendwie war mir die Enthüllung über Sharon Napier zu glatt. Als Lösung schien sie allzu naheliegend. Andererseits hat die Polizei auch manchmal recht. Mord ist für gewöhnlich nicht subtil, und meistens braucht man gar nicht so weit entfernt zu suchen.
9
Ich brauchte anderthalb Tage, um an eine Adresse von Sharon Napier heranzukommen. Auf Wegen, die ich nicht unbedingt darlegen möchte, zapfte ich den Computer der Verkehrspolizei an und entdeckte, daß ihr Führerschein vor rund sechs Jahren abgelaufen war. Ich fragte bei der Zulassungsstelle nach, ein kurzer Ausflug in die Innenstadt, und fand heraus, daß ein dunkelgrüner Karman Ghia auf ihren Namen registriert war. Die angegebene Adresse deckte sich mit der zuletzt bekannten hiesigen, die ich schon hatte, aber wie aus einer Randnotiz hervorging, war die Zulassung auf Nevada umgeschrieben worden; demnach hatte sie wahrscheinlich den Staat verlassen.
Ich meldete ein Gespräch mit Bob Dietz an, einem Detektiv in Nevada, dessen Namen ich aus dem nationalen Branchenverzeichnis heraussuchte. Ich erklärte ihm, welche Information ich benötigte, und er sagte, er würde zurückrufen, was er am selben Nachmittag noch tat. Sharon Napier hatte einen Führerschein für Nevada beantragt und erhalten: angegeben war eine Adresse in Reno. Dietz’ Quellen in Reno teilten jedoch mit, daß sie im März des Vorjahres vor einer großen Schar von Gläubigern geflohen sei; das hieß, sie war seit etwa vierzehn Monaten dort weg. In der Annahme, daß sie sich noch innerhalb des Staates aufhielt, hatte Dietz ein wenig weitergeschnüffelt: Einer kleinen Auskunftei in Reno lagen Anfragen zu ihrer Person vor, die erste aus Carson City und danach noch eine aus Las Vegas. Dort, meinte er, hätte ich die besten Chancen. Ich dankte ihm überschwenglich für seine Tüchtigkeit und bat ihn, mir eine Rechnung für seinen Zeitaufwand zu schicken, doch er sagte, ebensogut könne ich mich bei Gelegenheit revanchieren. Ich sorgte dafür, daß er meine Adresse und meine Privatnummer hatte, falls er sie brauchte.
Wegen Sharon Napier versuchte ich es bei der Telefonauskunft in Las Vegas, aber sie stand nicht im Verzeichnis, also rief ich einen Bekannten dort unten an, und er versprach sich umzuhören. Ich sagte ihm, daß ich Anfang der Woche nach Los Angeles fahren würde, und gab ihm die Telefonnummer durch, damit er mich, falls es länger dauerte, bis er einen Hinweis auf sie fand, dort erreichen konnte.
Der nächste Tag war Sonntag, und den widmete ich mir selbst: Wäsche, Hausputz, Lebensmitteleinkauf. Ich rasierte sogar meine Beine, bloß um zu zeigen, daß ich noch Stil hatte. Montag früh
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