Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
hieß es Büroarbeit. Ich tippte einen Bericht für Nikki und telefonierte aus Gründen der Genauigkeit noch mit der hiesigen Auskunftei. Sharon Napier hatte offenbar auch hier eine Menge Schulden und eine Menge empörter Leute zurückgelassen. Sie hatten keine Nachsendeadresse, also gab ich meine Informationen an sie weiter. Dann hatte ich eine lange Unterredung mit der California Fidelity in Sachen Marcia Threadgill. Für 4800 Dollar war die Versicherung beinahe bereit, sich mit ihr zu einigen und die Akte zu schließen. Dagegen argumentierte ich mit aller Schläue, die ich aufbringen konnte. Meine Dienste in dieser Sache kosteten sie keinen Heller, und es machte mich sauer, daß sie halb geneigt waren, wegzuschauen. Ich ließ mich sogar dazu herab, auf Prinzipien zu pochen, was bei dem Schaden-Sachbearbeiter nie sonderlich gut ankommt. »Die will Sie bescheißen «, sagte ich immer wieder, aber er schüttelte bloß den Kopf, als wären da Kräfte am Werk, die über meinen beschränkten Horizont gingen. Ich sagte er solle sich mit seinem Chef besprechen, und ich käme noch mal wieder.
Gegen 14 Uhr war ich auf dem Weg nach Los Angeles. Der andere Stein in dem Puzzle war Libby Glass, und ich mußte wissen, wie sie in das Ganze hineinpaßte. Als ich L. A. erreichte, stieg ich im Hacienda Motor Lodge am Wishire Boulevard, nahe Bundy, ab. Das Hacienda ist noch nicht einmal entfernt haziendaähnlich — ein L-förmiger, zweigeschossiger Bau mit knapper Parkmöglichkeit und einem Schwimmbecken, das von einem Maschendrahtzaun mit Vorhängeschloß umgeben ist. Eine sehr dicke Frau namens Arlette spielt die Doppelrolle der Managerin und Telefonistin. Ich konnte vom Empfang aus direkt in ihre Wohnung sehen. Die hat sie offenbar von ihren Einkünften als Tupperwaren-Vertreterin eingerichtet, ein wenig Kundenfang, den sie nebenher betreibt. Sie bevorzugt Möbel im Stil der Mittelmeerländer, mit roten Plüschpolstern.
»Fett ist schön, Kinsey«, sagte sie selbstbewußt, als ich den Meldeschein ausfüllte. »Gucken Sie her.«
Ich guckte. Sie hielt ihren Arm ausgestreckt, damit ich die mächtigen, durchhängenden Fleischwülste bewundern konnte.
»Ich weiß nicht, Arlette«, meinte ich zweifelnd. »Ich versuche immer daran vorbeizukommen.«
»Dann bedenken Sie mal, wieviel Zeit und Energie das kostet«, sagte sie. »Das Problem ist, daß unsere Gesellschaft die Dicken ausstößt. Beleibte Menschen werden schwer diskriminiert. Schlimmer als die Behinderten. Also, die haben’s leicht im Vergleich zu uns. Wo man auch hinkommt, sind jetzt Schilder für sie. Behindertenparkplätze. Behindertenklos. Sie haben diese kleinen Strichmännchen im Rollstuhl selber schon gesehen. Zeigen Sie mir doch mal das internationale Zeichen für die stark Übergewichtigen. Auch wir haben Rechte.«
Ihr Gesicht war mondförmig, eingerahmt von einem mädchenhaften, dünnen, blonden Haarschopf. Ihre Backen waren ständig gerötet, als würden wichtige Versorgungsadern gefährlich gequetscht.
»Aber es ist so ungesund, Arlette«, sagte ich. »Ich meine, müssen Sie nicht besorgt sein wegen hohen Blutdrucks, Herzanfällen...«
»Na ja, Risiken gibt’s bei allem. Ein Grund mehr, daß man uns anständig behandeln sollte.«
Ich gab ihr meine Kreditkarte, und nachdem sie sie gestempelt hatte, übergab sie mir den Schlüssel für Zimmer 2. »Das ist gleich hier vorn«, sagte sie. »Ich weiß, wie Sie es hassen, nach hinten verfrachtet zu werden.«
»Vielen Dank.«
Ich war schon etwa zwanzigmal auf Zimmer 2, und es ist immer auf tröstliche Weise trostlos. Ein Doppelbett. Fadenscheiniger Teppichboden in Baumhörnchengrau. Ein mit orangefarbigem Kunststoff bezogener Stuhl, der ein Wackelbein hat. Auf dem Schreibtisch steht eine Lampe in der Form eines Footballhelms mit dem Aufdruck »UCLA« auf der Seite. Das Bad ist klein, und die Badematte besteht aus Papier. Es ist so ein Ort, wo man die Unterhose von jemand anders unter dem Bett finden kann. Es kostet mich 11 Dollar 95 zuzüglich Wohnraumsteuer außerhalb der Saison, aber inklusive eines europäischen Frühstücks — Instantkaffee und gefüllte Krapfen, von denen Arlette die meisten selber ißt. Einmal, um Mitternacht, setzte sich ein Betrunkener auf die Stufe vor meiner Tür und johlte anderthalb Stunden, bis die Polizei kam und ihn mitnahm. Ich wohne da, weil es billig ist.
Ich setzte meinen Koffer auf das Bett und holte meine Joggingsachen raus. Ich ging schnell vom Wilshire zum San Vicente
Weitere Kostenlose Bücher