Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
schaltete und machte sich mit quietschenden Reifen davon. Ich dachte, wir würden vielleicht eine kleine Verfolgungsjagd improvisieren, aber so einen weiten Weg hatte er gar nicht. Er fuhr acht Blocks weiter und bog dann in die Auffahrt eines mittelgroßen Hauses in Sherman Oaks, das mit roten Ziegeln renoviert wurde. Ich nahm an, das war eine Art Statussymbol, denn Ziegelstein ist an der Westküste sehr teuer. Es gibt wahrscheinlich keine sechs Backsteinhäuser in ganz L. A.
Er stieg aus dem Transporter und schlenderte nach hinten, wobei er sich lässig das Hemd reinsteckte. Ich parkte an der Straße, schloß meinen Wagen ab und folgte ihm. Beiläufig fragte ich mich, ob er imstande wäre, mir den Kopf mit einem Ziegel einzuschlagen und mich dann einzumauern. Er war über mein Erscheinen auf der Bildfläche nicht erfreut und machte keinen Hehl daraus. Als ich um die Ecke kam, konnte ich sehen, daß der Besitzer des Hauses dabei war, seine kleine Hütte komplett mit einer neuen Fassade zu verkleiden. Statt wie ein bescheidener kalifornischer Bungalow würde sie aussehen wie gewisse Tierkliniken im Mittelwesten, die wirklich hohe Mieten bringen. Lyle war auf der Rückseite bereits damit beschäftigt, Mörtel in einer Schubkarre zu mischen. Ich suchte mir einen Weg zwischen dünnen Balken, aus denen krumme, rostige Nägel herausragten. Ein Kind würde eine Menge Tetanusspritzen brauchen, wenn es da drauf fiele.
»Fangen wir noch mal von vorn an, Lyle«, sagte ich im Plauderton.
Er schnaubte und holte eine Zigarette hervor, die er sich in den Mundwinkel steckte. Er zündete sie an, indem er die verkrusteten Hände über dem Streichholz wölbte, und stieß den ersten Mundvoll Rauch aus. Seine Augen waren klein, und das eine zwinkerte jetzt, als der Rauch in Ringeln über sein Gesicht hochstieg. Er erinnerte mich an frühe Fotos von James Dean — dieselbe abwehrende, krumme Haltung, das schräge Lächeln, das spitze Kinn. Ich fragte mich, ob er ein heimlicher Bewunderer von Jenseits von Eden war und bis spät abends aufblieb, um sich die neuesten Wiederholungen anzusehen, die auf obskuren Kanälen aus Bakersfield gesendet wurden.
»Hey, kommen Sie. Warum reden Sie nicht mit mir?« faßte ich nach.
»Ich habe Ihnen nix zu sagen. Wozu die ganze Scheiße noch mal aufrühren?«
»Interessiert es Sie nicht, wer Libby umgebracht hat?«
Er ließ sich Zeit mit der Antwort. Er hob einen Ziegelstein auf und hielt ihn senkrecht, während er mit der Kelle eine dicke Lage Mörtel auf das eine Ende auftrug und den weichen Zement verstrich, als wäre es ein sandiger grauer Käse. Er legte den Ziegelstein auf die brusthohe Ziegelreihe, die er in Arbeit hatte, gab ihm ein paar leichte Schläge mit dem Hammer und bückte sich auch schon, um den nächsten Ziegel aufzuheben.
Ich wölbte die rechte Hand hinter meinem Ohr. »Hallo?« rief ich, als wäre ich vorübergehend schwerhörig geworden.
Er grinste affektiert, die Zigarette wippte in seinem Mund. »Sie halten sich für affenscharf, was?«
Ich lächelte. »Hören Sie, Lyle. Das hat doch keinen Zweck. Sie brauchen mir überhaupt nichts zu sagen, und wissen Sie, was dann passiert? Ich nehme mir ungefähr anderthalb Stunden heute nachmittag, dann habe ich alles raus, was ich über Sie wissen will. Das schaffe ich mit sechs Telefongesprächen von meinem Motelzimmer in West Los Angeles aus, mich juckt es also gar nicht. Es macht Spaß, wenn Sie’s genau wissen wollen. Ich bekomme Auskunft über Ihren Wehrdienst, Ihre Kreditwürdigkeit. Ich kann feststellen, ob Sie schon mal verhaftet wurden, welche Jobs Sie hatten, ob Sie mit Leihbüchern im Verzug sind...«
»Nur zu. Ich hab nix zu verbergen.«
»Weshalb sollen wir es so komplizieren?« sagte ich. »Ich meine, ich kann Sie überprüfen, aber dann komme ich morgen ja doch wieder her, und wenn Sie mich jetzt nicht mögen, gefalle ich Ihnen morgen auch nicht besser. Ich könnte schlecht
gelaunt sein. Warum lockern Sie sich nicht einfach?«
»Ah, ich bin ganz locker«, sagte er.
»Was ist aus Ihren Juraplänen geworden?«
»Ich bin ausgestiegen«, meinte er mürrisch.
»Vielleicht gefiel Ihnen das Doperauchen zu gut«, deutete ich an.
»Vielleicht können Sie mich mal«, schnappte er. »Seh ich Ihnen wie ein Anwalt aus. Ich verlor das Interesse, klar? Ist schließlich kein Verbrechen.«
»Ich werfe Ihnen ja nichts vor. Ich will nur rauskriegen, was mit Libby passiert ist.«
Er schnickte die Asche von der Zigarette, warf sie
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