Kinsey Millhone 02- In aller Stille
außerdem gern mit Leonard Grice sprechen, aber es gab keinerlei Hinweis darauf, daß das Haus bewohnt war. Sogar von der Straße aus konnte ich den Geruch des verkohlten Holzes und der Löschflüssigkeit wahrnehmen, die die Feuerwehrschläuche in jeden Riß und jede Spalte gezwungen hatten.
Als ich auf Elaines Wohnanlage zuging, bemerkte ich jemanden, der aus dem kleinen Geräteschuppen im Hof der Grices herauskam. Ich blieb stehen, um ihn zu beobachten. Ein Jugendlicher, vielleicht siebzehn. Er hatte einen Irokesenhaarschnitt, acht Zentimeter von etwas, das aussah wie leuchtend rosafarbenes Heu, in das auf beide Seiten ein Weg gemäht war. Er hielt den Kopf gesenkt und hatte die Hände in die Taschen seines Army-Overalls gesteckt. Schlagartig wurde mir klar, daß ich ihn schon mal gesehen hatte — von Elaines Vorderfenster aus, als ich ihre Wohnung zum ersten Mal durchsucht hatte. Er hatte unten auf der Straße gestanden und sich an dem gemütlichen Örtchen einen Joint gedreht. Also, was hatte er vor? Ich drehte mich um und beschleunigte meinen Schritt, so daß sich unsere Wege genau an der Grundstücksgrenze treffen mußten.
»Hallo«, sagte ich.
Er sah zu mir hoch, überrascht, und setzte sofort die Sorte Lächeln auf, die Jugendliche für Erwachsene reserviert haben. »Hi.«
Sein Gesicht paßte nicht zu dem Rest seiner Erscheinung. Er hatte tiefliegende Augen; ein Jadegrün, das von dunklen Wimpern und dunklen Augenbrauen, die sich an seiner Nase trafen, hervorgehoben wurde. Seine Haut war rein, sein Lächeln verbindlich, seine Zähne ein wenig hervorstehend, und er hatte ein Grübchen in der linken Wange. Er blickte zur Seite und ging an mir vorüber. Ich streckte die Hand aus und erwischte ihn am Ärmel.
»Kann ich mit dir reden?«
Er sah mich an und blickte dann schnell über seine Schulter.
»Sprechen Sie mit mir?«
»Ja. Ich sah dich aus diesem Geräteschuppen da hinten kommen. Wohnst du hier in der Gegend?«
»Was? Oh. Klar, ’n paar Blöcke weiter. Das ist das Haus meines Onkels Leonard. Ich soll aufpassen, daß niemand an das Zeug drangeht.« Seine Stimme war hoch, beinah feminin.
»Was für ein Zeug ist das?«
Die jadegrünen Augen ruhten neugierig auf mir. Er lächelte, und sein ganzes Gesicht erhellte sich. »Sie sind ’n Cop oder so was?«
»Privatdetektivin«, sagte ich. »Ich heiße Kinsey Millhone.«
»Wow, das ist ja toll«, meinte er. »Ich bin Mike. Passen Sie hier auf oder was?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin mit einer anderen Sache beschäftigt, aber ich habe von dem Feuer gehört. War es deine Tante, die ermordet wurde?«
Das Lächeln flackerte. »Ja, genau. Mein Gott, das war schrecklich. Ich meine, sie und ich hatten nie viel miteinander zu tun, aber mein Onkel ist darüber fast verrückt geworden. Den kannste jetzt vergessen. Oh. Tschuldigung«, sagte er schüchtern. »Er ist völlig fertig jetzt, lebt bei meiner anderen Tante.«
»Kannst du mir sagen, wie ich ihn erreichen kann?«
»Ja, also, meine Tante heißt Lily Howe. Ich kann mich auf Anhieb nicht an die Telefonnummer erinnern, sonst würde ich Ihnen helfen.«
Er errötete, und der Effekt war merkwürdig. Rosafarbene Haare, grüne Augen, rosige Wangen, grüner Army-Overall. Er sah aus wie eine Geburtstagstorte, unschuldig und irgendwie festlich. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar, das hoch aufgerichtet von seinem Kopf abstand wie ein Reisigbesen.
Ich fragte mich, warum er sich so unwohl fühlte. »Was hast du da hinten gemacht?«
Er blickte mit einem verlegenen Achselzucken Richtung Schuppen. »Ich habe das Vorhängeschloß kontrolliert. Ich werde manchmal ein bißchen schizophren, verstehen Sie? Ich meine, der Mann zahlt mir zehn Dollar im Monat, und ich möchte es ihm recht machen. Wollten Sie sonst noch etwas? Weil ich nämlich los muß, Essen fassen und dann zurück zur Schule, okay?«
»Klar. Vielleicht sehen wir uns später noch mal.«
»Genau. Das wäre toll. Jederzeit.« Er lächelte mich wieder an und ging dann fort. Erst lief er rückwärts und hatte seine Augen auf mich geheftet, dann drehte er sich endlich um, so daß ich seinen schmalen Rücken und die schlanken Hüften beobachten konnte. Er hatte etwas Merkwürdiges an sich, aber mir fiel nicht ein, was. Irgend etwas paßte nicht zusammen. Diese übertriebene Hilfsbereitschaft und der Blick in seinen Augen. Naiv und verschlagen... ein Jugendlicher, dessen Gewissen rein war, weil er keins hatte. Vielleicht sollte ich ihn auch mal unter
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