Kinsey Millhone 02- In aller Stille
unmittelbare Nachbarin in Florida schickt mir ein Flugticket, das sie offensichtlich benutzt hat. Ich werde mir ansehen, ob es uns weitere Aufschlüsse gibt. Eine Freundin von ihr namens Pat Usher schwört sämtliche Eide, daß sie ein paar Tage mit Elaine Boldt verbracht hat, bevor sie nach Sarasota fuhr, aber ich glaube nicht viel von dem, was sie erzählt.«
»Möglicherweise taucht sie wieder auf. Gewöhnlich ist das so.« Er nahm einen Aktenordner und fügte eine Klammer ein. »Sie haben doch auch mal als Cop gearbeitet, nicht wahr?«
»Kurzfristig«, erwiderte ich. »Aber ich bin damit nicht klargekommen. Wahrscheinlich zu rebellisch. Was ist mit Ihnen? Wie lange sind Sie jetzt schon bei der Truppe?«
»Acht Jahre. Vorher war ich Vertreter. Verkaufte Medikamente für Smith, Kline und French. Ich hatte keine Lust mehr, im neuesten Wagen herumzufahren und Ärzte anzubetteln. Es war sowieso nichts als Drogenhandel. Ein Geschäft wie jedes andere. In der Krankheit steckt das große Geld.« Er sah auf seine Hände hinab, dann blickte er mich wieder an. »Nun denn. Jedenfalls hoffe ich, daß Sie Ihre Lady finden. Wir werden tun, was wir können.«
»Danke«, meinte ich, »ich rufe Sie Ende der Woche wieder an.«
Ich nahm meine Tasche und ging zur Tür.
»He«, sagte er.
Ich drehte mich um.
»Der Hut gefällt mir.«
Ich lächelte.
Als ich auf meinem Rückweg am Empfangsschalter vorbeikam, bemerkte ich Lieutenant Dolan, der sich in der erkennungsdienstlichen Abteilung aufhielt. Er sprach mit einer jungen, schwarzen Angestellten in Uniform. Sein Blick glitt an mir vorüber und kehrte dann mit einem Ausdruck des Erkennens zurück. Er brach seine Unterhaltung mit ihr ab und schlenderte zum Schalter. Lieutenant Dolan ist Mitte Fünfzig und hat ein eckiges, schlaffes Gesicht und eine Stirnglatze, die er durch raffiniertes Frisieren der verbliebenen Haare zu verbergen versucht. Es ist der einzige Hinweis auf Eitelkeit an ihm, und er muntert mich irgendwie auf. Ich stelle mir vor, wie er jeden Morgen vor seinem Badezimmerspiegel steht und versucht, mit der schleichenden Ausbreitung seines nackten Skalps fertig zu werden. Er trug eine randlose Zweistärkenbrille, die offensichtlich neu war, denn er konnte mich nicht richtig ins Visier bekommen. Erst schaute er mich an, indem er über die kleinen Halbmonde hinwegsah, dann, indem er durch sie hindurchsah. Schließlich nahm er die Brille ab und steckte sie in die Tasche seines verknitterten grauen Anzugs.
»Hallo, Kinsey. Wir haben uns seit der Schießerei nicht mehr gesehen. Wie sind Sie damit klargekommen?«
Ich fühlte Unbehagen in mir aufsteigen. Vor zwei Wochen hatte ich jemanden im Verlaufe einer Untersuchung getötet, und ich war eifrig darauf bedacht, das Thema zu vermeiden. Als er es erwähnte, wurde mir klar, wie vollständig ich die Sache verdrängt hatte. Sie hatte meine Gedanken nicht einmal gestreift, und daß er sie jetzt erwähnt hatte, schien so erschreckend wie der Traum, in dem man sich splitternackt in der Öffentlichkeit wiederfindet.
»Ich bin okay«, meinte ich kurzangebunden, wobei ich den Augenkontakt abbrach. Im Nu sah ich wieder den Strand bei Nacht. Dieser Lichtspalt, als die große Mülltonne, in der ich mich versteckt hatte, geöffnet wurde und ich aufblickte. Meine kleine Halbautomatik war in meine Hand gesprungen wie bei einem Reflextest, und ich hatte mehr Kugeln abgedrückt, als tatsächlich nötig gewesen wären, um die Sache zu erledigen. Der Lärm in diesem geschlossenen Raum war betäubend gewesen. Seitdem klingelten meine Ohren: ein hohes Pfeifen, wie Gas, das aus einem defekten Ventil entweicht. Im Nu war die Vorstellung wieder verschwunden, und Lieutenant Dolan stand vor mir. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wünschte er sich, besser den Mund gehalten zu haben.
Meine Beziehung zu Con Dolan war immer schon gespalten, indirekt, auf widerwilligem gegenseitigem Respekt beruhend. Er mag Privatdetektive prinzipiell nicht. Er meint, wir sollten uns um unsere eigenen Sachen kümmern, was immer das war, und das Gesetz Professionellen wie ihm überlassen. In meiner Phantasie hatte ich mir immer vorgestellt, daß wir eines Tages dasitzen und kriminalistischen Klatsch austauschen würden wie alte Jungfern. Aber da er nun diese persönliche Note eingebracht hatte, spürte ich, wie ich mich zurückzog, verunsichert von dieser Änderung. Als sich unsere Augen wieder trafen, war sein Blick nichtssagend, sein Ausdruck höflich.
Ich
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