Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief
Kopf. »Ich habe ihn am Montagabend das erstemal seit Monaten wieder gesehen. Mord. Ist die Polizei derselben Ansicht?«
»Ich weiß es noch nicht. Ich habe eine Kopie des Unfallberichts, und soweit ich das beurteilen kann, haben sie nicht viel in der Hand, um weiterzumachen. Es gab keine Zeugen, und ich glaube, sie haben am Unfallort auch keine besonderen Hinweise gefunden.«
»Das ist ungewöhnlich, oder?«
»Nun, gewöhnlich gibt es wenigstens einen Anhaltspunkt. Glassplitter, Bremsspuren, Spuren am Fahrzeug des Opfers. Vielleicht ist der Kerl aus seinem Wagen gesprungen und hat sämtliche Erd- und Farbspuren beseitigt, ich weiß es nicht. Aber ich vertraue Bobbys Intuition in diesem Fall. Er sagt, er hat sich in Gefahr befunden. Er kann sich nur nicht mehr daran erinnern, warum.«
Dr. Fraker schien das kurz zu erwägen, dann bewegte er sich auf seinem Stuhl. »Ich bin geneigt, ihm meinerseits zu glauben. Er ist ein heller Kopf. Er war auch ein begabter Student. Es ist eine verdammte Schande, daß so wenig davon übriggeblieben ist. Was ist denn seiner Ansicht nach vorgegangen?«
»Er hat überhaupt keine Ahnung, und er ist, wie er betonte, in dem Moment, in dem er sich erinnert, in noch größeren Schwierigkeiten als jetzt. Er vermutet, daß immer noch jemand hinter ihm her ist.«
Er säuberte sich mit einem Taschentuch die Brille und überdachte die Sache. Er war ein Mann, der offensichtlich den Umgang mit Rätseln gewöhnt war, aber ich konnte mir vorstellen, daß seine Lösungen eher von Symptomen als von Umständen hergeleitet waren. Krankheiten erfordern nicht unbedingt ein Motiv, wie es bei einem Mord der Fall ist.
Er schüttelte leicht den Kopf, und unsere Blicke trafen sich. »Seltsam. Das Ganze liegt ein bißchen außerhalb meines Gesichtskreises.«
Er setzte die Brille auf und wurde geschäftsmäßig. »Na schön. In diesem Falle sollten wir besser herausfinden, was los ist. Wie kann ich Ihnen dabei behilflich sein?«
Ich zuckte die Achseln. »Mir fällt auch nichts Besseres ein, als ganz vorn, bei Planquadrat eins, anzufangen. Ich muß herauszufinden versuchen, in welchen Schwierigkeiten er sich befunden hat. Er hat wie lange bei Ihnen gearbeitet? Zwei Monate?«
»Ungefähr. Er hat im September angefangen, glaube ich. Marcy kann das nachsehen, wenn Sie die genauen Daten haben wollen.«
»Ich nehme an, daß er wegen Ihrer Beziehung zu seiner Mutter eingestellt wurde.«
»Nun, ja und nein. Normalerweise haben wir immer einen Platz für einen angehenden Medizinstudenten frei. Diesmal war es zufällig Bobby, der den Ansprüchen genügte. Glen Callahan ist ein sehr hohes Tier hier bei uns, aber wir hätten ihn nicht eingestellt, wenn er eine Niete gewesen wäre. Möchten Sie einen Kaffee? Ich wollte selbst gerade welchen trinken.«
»Ja, gerne.«
Er lehnte sich etwas zur Seite und rief zu seiner Sekretärin hinüber, deren Schreibtisch in seinem Blickfeld lag. »Marcy? Könnten Sie uns bitte Kaffee bringen?«
Er wandte sich zu mir. »Möchten Sie Milch und Zucker?«
»Schwarz reicht.«
»Beide schwarz«, rief er.
Es kam keine Antwort, aber ich vermutete, sie kümmerte sich darum. Er konzentrierte sich wieder auf mich. »Entschuldigen Sie die Unterbrechung.«
»Schon in Ordnung. Hatte er einen eigenen Schreibtisch hier unten?«
»Er hatte vorne einen Schreibtisch, aber der wurde ausgeräumt, hm, ich würde sagen, einen Tag nach dem Unfall. Keiner glaubte, daß er überleben würde, wissen Sie, und wir mußten schnell jemand anderen finden. Diese Abteilung ist die meiste Zeit über das reinste Irrenhaus.«
»Was geschah mit seinen Sachen?«
»Ich habe sie selbst bei ihm zu Hause vorbeigebracht. Es war nicht viel, und wir haben alles in einen Pappkarton gepackt, den ich Derek gegeben habe. Ich weiß nicht, was er damit angefangen hat. Glen war seinerzeit vierundzwanzig Stunden am Tag im Krankenhaus.«
»Erinnern Sie sich daran, was drin war?«
»In seinem Schreibtisch? Krimskrams. Bürozeug.«
Ich merkte mir vor, nach dieser Kiste zu forschen. Vermutlich gab es eine Chance, daß sie sich noch irgendwo im Haus befand. »Können Sie mir Bobbys Tagesablauf schildern und mir erklären, welche Art Arbeit er machte?«
»Sicher. Eigentlich teilte er seine Zeit zwischen dem Labor und dem Leichenschauhaus draußen in dem alten Landkrankenhaus in der Frontage Road. Ich muß sowieso später da raus. Sie können mitkommen, wenn Sie wollen, oder in Ihrem eigenen Wagen hinterherfahren, wenn Ihnen
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