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Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Titel: Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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durchdrungen. Von der gegenüberliegenden Seite des düsteren Flurs zu unserer Rechten hörte ich eine Schreibmaschine klappern; es klang nach einer alten mechanischen, die von einem Laien benutzt wurde. Es gab keinen weiteren Hinweis auf Menschen hier.
    Dr. Fraker unternahm einen oberflächlichen Rundgang mit mir. Ihm zufolge war Bobby je nach Bedarf zwischen diesem Haus und St. Terry hin und her gefahren und hatte Akten über Patienten, die nach ein paar Jahren wieder ins Krankenhaus eingeliefert worden waren, aus dem Archiv geholt oder Röntgenaufnahmen und Autopsieberichte hingebracht. Alte Aufzeichnungen wurden automatisch in den Lagerräumen hier draußen abgelegt. Natürlich wurden die meisten Daten heutzutage im Computer gespeichert, aber es gab immer noch einen Überhang an Papieren, die irgendwo aufbewahrt werden mußten. Bobby hatte offensichtlich noch ein bißchen schwarz gearbeitet, indem er den Friedhofsdienst für Bedienstete des Leichenschauhauses übernahm, die wegen Krankheit oder Urlaub fehlten. Dr. Fraker deutete an, daß das größtenteils Laufburschenfunktionen waren, daß Bobby aber in den zwei Monaten, die er hier gearbeitet hatte, eine beträchtliche Stundenzahl für den Job aufgewendet hatte.
    Inzwischen waren wir auf dem Weg nach unten. Wir stiegen eine breite Treppe aus roten spanischen Fliesen hinab, und unsere Schritte schallten in einem dumpfen, verzerrten Klang. Weil das Krankenhaus gegen einen Berg gebaut ist, liegt die hintere Seite des Gebäudes unter der Erde, während die vordere auf teilweise mit Sträuchern überwachsene Wege hinausführt. Es war dunkel hier unten, als ob man aus wirtschaftlichen Erwägungen die Stromzufuhr beschränkt habe. Die Temperatur war niedrig, und die Luft war mit Formaldehyd parfümiert — diesem ätzenden Deodorant für Verstorbene. Ein Pfeil an der Wand wies Richtung Autopsie. Ich begann mich gegen die Bilder, die mein Hirn heraufbeschwor, zu rüsten.
    Dr. Fraker öffnete die Tür mit ihren Milchglasscheiben. Ich zögerte nicht direkt, bevor ich eintrat, aber ich verschaffte mir einen schnellen Überblick, um mich zu vergewissern, daß wir niemanden dabei störten, wie er gerade mit dem Nivelliermesser eine Leiche zu Filet verarbeitete. Dr. Fraker schien meine Befürchtungen zu spüren, und er berührte mich kurz am Ellbogen.
    »Es ist nichts vorgesehen«, versicherte er und ging voran.
    Ich lächelte unbehaglich und folgte ihm. Auf den ersten Blick schien der Ort verlassen zu sein. Ich bemerkte Wände aus apfelgrünen Keramikfliesen und lange Nirostatheken mit viel Raum für Schubladen. Es sah aus wie die High-Tech-Küche aus einer Zeitschrift für Innenarchitektur, einschließlich einer Nirosta-Insel in der Mitte, die mit einem großen Abwaschbecken protzte, sowie mit langen, gebogenen Hähnen, einer Hängewaage und einer Abtropffläche. Ich fühlte, wie sich mein Mund vor Abscheu verzog. Ich wußte, was hier zubereitet wurde, und es war keine Nahrung.
    Auf der anderen Seite des Raums wurde eine Schwingtür aufgestoßen, und ein junger Mann in grüner OP-Kleidung kam rückwärts herein und zog eine Bahre hinter sich her. Die Leiche auf dem Wagen war in dickes, gelbbraunes Plastik gehüllt, das Alter und Geschlecht verbarg. Am Zeh hing ein Schild, und ich konnte ein Stück des dunklen Kopfes erkennen, das ausdruckslose Gesicht wie bei einer Mumie in Plastik gewickelt. Das erinnerte mich entfernt an die Warnung, die neuerdings auf den Tüten von chemischen Reinigungen zu lesen ist: »Achtung: Um Erstickungsgefahr zu vermeiden, von Säuglingen und Kindern fernhalten. Nicht in Wiegen, Betten, Kinderwagen oder Laufställchen verwenden. Diese Tüte ist kein Spielzeug.« Ich wandte den Blick ab und atmete tief durch, einfach um mir zu beweisen, daß ich es noch konnte.
    Dr. Fraker stellte mich seinem Gehilfen vor, der Kelly Borden hieß. Er war Mitte Dreißig, groß und weich gebaut, und hatte sein krauses, vorzeitig ergrauendes Eiaar in einem dicken Zopf zurückgebunden, der bis zur Mitte seines Rückens hinabreichte. Er trug einen Bart, einen geschwungenen Schnurrbart, hatte sanfte Augen und eine Armbanduhr, die aussah, als würde sie auch am Grunde des Meeres noch die richtige Zeit anzeigen.
    »Kinsey ist Privatdetektiv und untersucht Bobby Callahans Unfall«, erklärte Dr. Fraker.
    Kelly nickte mit unbewegter Miene. Er schob die Bahre zu etwas hinüber, das wie ein großer Gefrierschrank aussah, und bugsierte sie neben eine weitere, ebenfalls

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