Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief
glaube, wir hatten alle die Sorge, daß eines Tages so etwas passieren könnte.«
Mehr schien zu diesem Thema nicht zu sagen zu sein.
Kleinert wandte sich schließlich an Fraker. »Haben Sie schon gegessen? Ann und ich gehen nach dem Abendessen aus, wenn Nola und Sie vielleicht mitkommen möchten?«
Fraker lehnte die Einladung ab, aber sein Weinglas mußte nachgefüllt werden, und ich sah, wie er die Menge nach einem Zeichen von seiner Frau absuchte. Beide Doktoren entschuldigten sich.
Verwirrt stand ich da und rief mir die Fakten noch mal ins Gedächtnis. Theoretisch war Bobby Callahan eines natürlichen Todes gestorben, aber tatsächlich war sein Tod eine Folge der Verletzungen, die er sich bei dem Unfall vor neun Monaten zugezogen hatte, von dem zumindest er angenommen hatte, daß es ein Mordversuch gewesen war. Soweit ich mich erinnern konnte, schreibt das kalifornische Gesetzbuch vor, daß »ein Todesfall dann Mord oder Totschlag ist, wenn die betroffene Partei innerhalb von drei Jahren und einem Tag stirbt, nachdem der entscheidende Schlag erhalten oder die Todesursache festgestellt worden ist«. Deshalb war er in Wahrheit ermordet worden, und es machte überhaupt keinen Unterschied, ob er in derselben Nacht oder letzte Woche gestorben war. Im Moment hatte ich natürlich keinerlei Beweise. Ich hatte noch immer den Großteil des Geldes, das Bobby mir gezahlt hatte, und ein paar klare Anweisungen von ihm, also war ich nach wie vor unter Vertrag, wenn ich wollte. In Gedanken stand ich auf und schüttelte mich. Es war an der Zeit, den Kummer abzulegen und wieder an die Arbeit zu gehen. Ich setzte mein Weinglas ab und informierte Glen kurz darüber, wo ich sein würde. Dann ging ich hinauf und durchsuchte systematisch Bobbys Zimmer. Ich wollte dieses kleine rote Buch haben.
13
Natürlich ging ich in der Hoffnung vor, daß Bobby das Buch irgendwo im Haus versteckt hatte. Er hatte gesagt, er könne sich erinnern, das Buch jemandem gegeben zu haben, aber das mußte nicht stimmen. Ich hatte zwar nicht die Möglichkeit, das gesamte Haus zu durchkämmen, doch ich würde sicher ein paar der Räume absuchen können. Glens Studierzimmer, vielleicht Kittys Zimmer. Oben war es ruhig, und ich war froh, eine Weile allein zu sein. Eineinhalb Stunden lang suchte ich und fand überhaupt nichts. Ich war nicht entmutigt. Auf eine merkwürdige Art ermunterte es mich sogar. Vielleicht hatte Bobbys Gedächtnis doch noch richtig funktioniert.
Gegen sechs ging ich hinaus auf den Flur. Ich stützte meine Ellbogen auf das Geländer, das um den Treppenabsatz herumführte, und lauschte den von unten aufsteigenden Geräuschen. Offenbar war die Menge erheblich geschrumpft. Ich hörte Fetzen von Gelächter und das gelegentliche Anschwellen lockerer Unterhaltung, aber es klang, als seien die meisten Gäste gegangen. Ich ging denselben Weg zurück und klopfte an Kittys Tür.
Gedämpfte Reaktion. »Wer ist da?«
»Ich bin’s, Kinsey«, antwortete ich der weißen Tür. Einen Moment darauf hörte ich, wie das Schloß geöffnet wurde, doch sie ließ mich nicht wirklich ein.
Statt dessen brüllte sie: »Herein!«
Gott, sie war wirklich langweilig. Ich trat ein.
Das Zimmer war aufgeräumt, das Bett gemacht, was sicher nicht die Folge ihres eigenen Bemühens war. Sie sah aus, als habe sie geweint. Ihre Nase war gerötet, ihr Make-up verschmiert. Sie war natürlich mit Drogen beschäftigt. Sie hatte einen Spiegel und eine Rasierklinge hervorgeholt und legte sich ein paar Reihen Kokain. Ein halbvolles Weinglas stand auf dem Nachttisch.
»Ich fühl mich dermaßen beschissen«, meinte sie. Sie hatte ihre Zigeunerkleidung gegen einen sanftgrünen Kimono vertauscht, auf dessen Rücken und Ärmel Schmetterlinge gestickt waren. Ihre Arme waren so dünn, daß sie mit ihren glitzernden Augen aussah wie eine Gottesanbeterin.
»Wann mußt du wieder im St. Terry sein?« fragte ich.
Sie hielt inne, um sich die Nase zu putzen, damit auch ja nichts von dem Stoff vergeudet würde. »Wer weiß?« erwiderte sie dann mürrisch. »Heute abend, nehme ich an. Zumindest habe ich die Gelegenheit, ein paar von meinen eigenen Klamotten mitzunehmen. Scheiße, ich bin mit rein gar nichts auf der Psychiatrischen gelandet.«
»Warum machst du diesen Blödsinn, Kitty? Damit gibst du dich geradewegs in Kleinerts Hand.«
»Super. Ich hätte nicht gedacht, daß du hochkommst, um mir Predigten zu halten.«
»Ich bin hochgekommen, um Bobbys Zimmer zu durchsuchen. Ich
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