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Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Titel: Kinsey Millhone 04 - Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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mir eine Nummer, wo ich Sie erreichen kann. Ich spreche mit meinem Mann; mal sehen, was er sagt.«
    Ich reichte ihr meine Karte, nachdem ich meine Privatadresse und Telefonnummer auf die Rückseite geschrieben hatte, für den Fall, daß sie mich dort erreichen wollte.

11

    Nachdem ich Ramona Westfall verlassen hatte, fuhr ich zu meiner Wohnung und zog mich um, Stumpfhose, flache Schuhe und mein Kleid-für-alle-Fälle. Dieses Kleid, das ich jetzt seit fünf Jahren besitze, ist aus einem Zauberstoff, der nicht kraust und auf dem kein Schmutz zu sehen ist. Es kann auf die Größe eines Regenhutes zusammengedrückt werden, ich kann es unten in meine Handtasche stopfen, ohne daß es Schaden nimmt. Es kann auch im Waschbecken ausgewaschen und über Nacht zum Trocknen aufgehängt werden. Es ist schwarz, leicht, mit langen Ärmeln, einem Reißverschluß im Rücken und sollte wahrscheinlich mit Accessoires aufgewertet werden, ein Konzept bei Frauenmode, das ich nie verstanden habe. Ich trage das Kleid pur, und es sieht für mich immer okay aus. Hin und wieder sehe ich diesen erkennenden Blick bei jemandem, aber vielleicht ist das nur die Überraschung, mich in etwas anderem als Jeans und Stiefel zu sehen.
    Das Wynington-Blake-Bestattungsinstitut — Beerdigungen, Feuer- und Schiffsbestattungen, alle Glaubensrichtungen — befindet sich auf der Ostseite der Stadt in einer Seitenstraße mit ausreichenden Parkmöglichkeiten. Ursprünglich war es als Residenz erbaut, und es vermittelt noch immer den Eindruck eines vornehmen Einfamilienhauses. Jetzt ist das Erdgeschoß natürlich umgebaut worden, besteht praktisch aus sechs geräumigen Wohnräumen, von denen jeder einzelne mit Metallklappstühlen ausgestattet und mit einem ernsten Spruch versehen ist.
    Der Herr, der mich empfing, ein Mr. Sharonson, trug einen Anzug aus dezentem, marineblauem Material, einen neutralen Gesichtsausdruck und die Stimme eines Angestellten in einer öffentlichen Bibliothek zur Schau. John Daggett war im »Meditation« aufgebahrt, einfach den Gang entlang und dann zur Linken. Die Familie, murmelte er, befand sich in der Sunrise-Kapelle, wenn ich bitte warten würde. Ich unterschrieb, und Mr. Sharonson entfernte sich diskret. Nun konnte ich tun, was mir gefiel. Der Raum war von Stühlen gesäumt, der Sarg befand sich am Giebel. Es gab weiße Gladiolen, die irgendwie aussahen, als wären sie vom Bestattungsinstitut zur Verfügung gestellt worden, anstelle von Kränzen derjenigen, die um Daggett trauerten. Orgelmusik erklang leise, eine unauffällige Aufforderung, sich Gedanken über das Leben zu machen.
    Auf Zehenspitzen ging ich durchs Zimmer, um einen Blick auf ihn zu werfen. Farbe und Struktur seiner Haut erinnerten mich an eine Puppe, die ich als Kind gehabt hatte. Seine Züge wirkten flach, ich vermutete, eine Folge der Autopsie. Es dürfte schwer sein, jemandem das Gesicht aufzurollen und es dann anschließend genauso wieder hinzubekommen, wie es war. Daggetts Nase wirkte schief, wie ein Kopfkissenbezug, bei dem die Naht verrutscht war.
    Ich hörte ein Rascheln hinter mir, und Barbara Daggett tauchte zu meiner Rechten auf. Wir standen einen Moment wortlos nebeneinander. Ich weiß nicht, warum die Leute immer so dastehen und die Toten mustern müssen. Das ergibt ungefähr soviel Sinn, als wenn man dem Pappkarton, in dem die Lieblingsschuhe einst verpackt waren, die letzte Ehre erweist. Schließlich murmelte sie etwas und wandte sich ab, ging zu dem Eingang hinüber, durch den Eugene Nickerson und Essie Daggett gerade eintraten.
    Essie trug ein dunkelblaues Kleid aus Rayon-Jersey, das bleiche Fleisch an den massigen Armen bildete kleine Ein- und Ausbuchtungen. Ihr Haar schien frisch »gemacht« zu sein, dick und aufgeplustert, mit Spray zu einem Turban in häßlichem Grau aufgetürmt. Eugene in einem dunklen Anzug steuerte sie am Ellbogen, betätigte ihren Arm wie das Ruder an einem Schiff. Sie warf einen Blick auf den Sarg, und ihre dicken Knie gaben nach. Barbara und Eugene fingen sie auf, bevor sie tatsächlich zu Boden stürzte. Sie führten sie zu einem Polsterstuhl und drückten sie in den Sitz. Sie suchte nach einem Taschentuch, das sie an die Lippen preßte, als wollte sie sich chloroformieren.
    »Sweet Jesus Lord«, heulte sie, mit fromm nach oben gerichtetem Blick. »Großer, gnadenvoller Herr...« Eugene fing an, ihre Hand zu tätscheln, und Barbara setzte sich neben sie, legte beschützend einen Arm um sie.
    »Soll ich ihr ein Glas Wasser

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