Kinsey Millhone 08 - Sie kannte ihn fluechtig - F wie Faelschung
ich tue, was ich kann.«
Er sah mich lächelnd an und kreuzte die Finger.
Im Justizgebäude verabschiedete er sich in der Eingangshalle, um sich mit dem Staatsanwalt und dem Richter zu besprechen. Das Café war eigentlich nichts weiter als eine Verlängerung der Eingangshalle, mittlerweile vollbesetzt mit Presseleuten. Royce saß an einem kleinen Tisch in der Nähe der Treppe und hatte die Hände auf dem Knauf seines Stocks gefaltet. Er wirkte müde. Sein Haar hatte den stumpfen, leicht feuchten Glanz des Kranken. Er hatte Kaffee bestellt, der jedoch kalt und unberührt vor ihm stand. Ich setzte mich. Die Bedienung kam mit einer Kanne frischen Kaffees, doch ich schüttelte dankend den Kopf. Royces ängstliche Sorge wirkte beklemmend. Er war ganz offenbar ein stolzer Mann, der es gewohnt war, der Umwelt seinen Willen aufzuzwingen. Die offizielle Anklageerhebung gegen Bailey hatte jetzt schon den Anstrich eines öffentlichen Spektakels. Die Lokalzeitung brachte die Geschichte seiner Verhaftung seit Tagen auf der ersten Seite, die Regionalsender eröffneten alle Nachrichten und die kurzen Zusammenfassungen von den Ereignissen des Tages mit Meldungen zu seinem Fall.
Ein Fernsehteam ging rechts an uns vorbei und die Treppe hinunter, ohne zu registrieren, dass Bailey Fowlers Vater in Reichweite ihrer Kamera gesessen hatte. Royce warf ihnen einen bösen Blick nach, und sein Lächeln wirkte bitter.
»Ich glaube, wir sollten jetzt hinuntergehen«, schlug ich vor.
Im Zeitlupentempo stiegen wir die Stufen hinab. Ich widerstand der Versuchung, Royce zu stützen, um ihn nicht zu verletzen. Seine Sturheit schien irgendwie ein Ausdruck dafür zu sein, dass er sich über sich selbst lustig machte. Offenbar bereitete es ihm ein grimmiges Vergnügen, so lange ausgehalten zu haben, und seinen Körper ohne Rücksicht seinem Willen zu unterwerfen.
Der Korridor im Untergeschoss war auf einer Seite von großen Fensterscheiben aus schusssicherem Glas gesäumt und hatte zwei Eingänge, zu denen man durch einen Innenhof gelangte. Innenhof und Korridor füllten sich mit Schaulustigen, von denen etliche Royce erkannten. Die Menge machte uns stumm Platz, und Blicke wandten sich ab, als wir den Gerichtssaal betraten. Die Leute in der dritten Reihe rückten enger zusammen, damit wir uns setzen konnten. Im Saal herrschte das gedämpfte Stimmengemurmel einer Kirchengemeinde vor dem Gottesdienst. Die meisten Anwesenden waren sonntäglich gekleidet, und in der Luft mischten sich verschiedene Parfüms. Niemand sprach Royce direkt an, doch ich glaubte zu ahnen, dass man um uns herum Zeichen machte und tuschelte. Royce war ein angesehener Bürger gewesen, bis Baileys Lebenswandel seinen guten Ruf zunichte machte. Einen Sohn zu haben, der des Mordes verdächtigt wird, ist ebenso verwerflich, wie selbst ein Verbrechen zu begehen — elterliches Versagen der schlimmsten Kategorie. So unfair es auch war, immer und überall schwebte unausgesprochen die Frage in der Luft: Was haben diese Eltern getan, dass aus einem einst unschuldigen Kind ein kaltblütiger Mörder werden konnte?
Ich hatte mir die Prozessliste angesehen, die im Korridor aushing. Für diesen Vormittag waren noch zehn weitere Anklageerhebungen angesetzt. Die Tür zum Richterzimmer war geschlossen. Die Gerichtsdienerin, eine schlanke, hübsche Frau im marineblauen Kostüm, saß unterhalb des Richtertischs etwas rechts vom Richterstuhl. Die Gerichtsreporterin hatte an einem Tisch gegenüber auf der linken Seite Platz genommen. Außerdem waren ungefähr ein Dutzend Staatsanwälte anwesend, in schwarzen Talaren, weißen Hemden mit dezent gemusterten Krawatten. Es gab nur eine Frau unter ihnen.
Während wir auf die Eröffnung der Verhandlung warteten, ließ ich meine Blicke über die Menge der Anwesenden schweifen. Shana Timberlake saß auf der gegenüberliegenden Seite des Mittelganges eine Reihe weiter hinten. Die kalte Neonbeleuchtung des Saals entlarvte den Eindruck von Jugendlichkeit als Illusion; ich sah die tiefen Falten an ihren Augenwinkeln, die Alter, Müdigkeit und die vielen Nächte schlechter Gesellschaft verrieten. Sie hatte breite Schultern, einen üppigen Busen und schmale Hüften und trug Jeans und ein Flanellhemd. Ihr Haar war beinahe schwarz mit vereinzelten silbrigen Strähnen und glatt aus dem Gesicht gekämmt. Im Nacken wurde es von einer Spange zusammengehalten. Ihre brennenden, dunklen Augen waren plötzlich auf mich gerichtet, und ich wandte mich hastig ab. Natürlich
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