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Kinsey Millhone 08 - Sie kannte ihn fluechtig - F wie Faelschung

Kinsey Millhone 08 - Sie kannte ihn fluechtig - F wie Faelschung

Titel: Kinsey Millhone 08 - Sie kannte ihn fluechtig - F wie Faelschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Gesprächstermine mit der Mutter waren verzeichnet und oft wieder gestrichen worden, weil Mrs. Timberlake zum vereinbarten Termin meistens nicht erschienen war. Es gab Gesprächsnotizen der Schulpsychologen, zu denen auch Ann Fowler gehörte. Jean musste einen Großteil ihrer Schulzeit auf der Bank in Mr. Shales’ Vorzimmer verbracht haben, vielleicht schmollend, aber vielleicht auch so selbstbewusst, wie die meisten Fotos im Jahrbuch sie zeigten. Vielleicht hatte sie dagesessen und in aller Ruhe an ihre sexuellen Erkundungen mit Jungen in parkenden Autos gedacht, oder vielleicht hatte sie mit einem der älteren Schüler geflirtet, die sich hier an dem großen Tisch auf ihre Prüfungen vorbereiteten. Vom Beginn der Pubertät an waren ihre Durchschnittsnoten kontinuierlich gesunken im Widerspruch zu ihrem Intelligenzquotienten und früheren Prüfungsergebnissen. Man konnte die Heftigkeit der Hormonschübe beinahe zwischen den Zeilen herauslesen, die dramatischen Szenen, die Verwirrung, schließlich die Heimlichkeiten. Ihr Vertrauen in die Schulärztin endete abrupt. Hatte Mrs. Berringer zunächst Unterleibskrämpfe und andere heftige Periodenbeschwerden verzeichnet und eine Konsultation des Hausarztes empfohlen, so gab sie später ihrer Sorge über das wiederholte Nichterscheinen des Mädchens Ausdruck. Jeans Schwierigkeiten waren weder unbemerkt noch unkommentiert geblieben, und es spricht für die Schule, dass man sich Sorgen um sie machte. Aus den Akten ging hervor, dass man alles Erdenkliche unternommen hatte, um sie vor einem Abgleiten zu bewahren. Am 5. November dann hatte jemand mit dunkelblauer Tinte den Tod des Mädchens vermerkt. Die Eintragung war unterstrichen, die folgende Seite leer.
    »Bringt Sie das weiter?«
    Ich fuhr zusammen. Dwight Shales stand in der Tür zu seinem Büro. Das weinende Mädchen war weg, und man hörte das Getrampel von Schülern, die die Klassenräume wechselten. »Sie haben mich erschreckt«, sagte ich.
    »Tut mir Leid. Kommen Sie rein. Ich habe um zwei Uhr eine Konferenz, aber bis dahin können wir uns noch unterhalten. Bringen Sie die Akte mit.«
    Ich nahm Jeans Unterlagen und folgte ihm.
    »Nehmen Sie Platz«, forderte er mich auf.
    Sein Verhalten hatte sich erneut geändert. Der Mann, den ich eben noch bei Joleen Granger als umgänglich erlebt hatte, war wieder reserviert geworden, überlegte sorgsam jedes Wort, kühl und distanziert, als habe ihn der zwanzigjährige Umgang mit unerzogenen Teenagern auch allen anderen gegenüber vorsichtig werden lassen. Ich hegte den Verdacht, dass er sowieso von Natur aus eher autoritär und leicht reizbar war. Er war es gewohnt, Anweisungen zu geben. Im Grunde war er ein gut aussehender Mann, aber gewisse Anzeichen mahnten zur Vorsicht ihm gegenüber. Er hatte eine sportliche, muskulöse Figur und die Haltung eines kampferprobten Offiziers. Falls er einen Sport ausübte, tippte ich auf Tontaubenschießen, Handball, Poker oder Schach. Als Jogger würde er zu jenem Typ gehören, der seinen Ehrgeiz darein setzt, seine Zeit jedes Mal um einige Sekunden zu unterbieten. Vielleicht war er früher einmal offen und verwundbar gewesen, aber mittlerweile hatte er alle Jalousien heruntergelassen, und das einzige Mal, dass ich ihn bei einer Gefühlsregung ertappt hatte, war in Gegenwart von Joleen gewesen. Der Tod seiner Frau hatte seine eiserne Selbstbeherrschung offenbar brüchig werden lassen. Tod und Trauer machten ihn noch immer verwundbar.
    Ich setzte mich und legte den dicken Aktenordner mit den Eselsohren auf den Schreibtisch vor mir. Etwas Überraschendes hatte ich nicht gefunden, aber ich hatte mir einige Notizen gemacht. Jeans frühere Adresse, Geburtsdatum, Versicherungsnummer, all jene Daten, die mit ihrem Tod sinnlos geworden waren. »Was hielten Sie von Jean Timberlake?«, fragte ich.
    »Sie war eine harte Nuss. Glauben Sie mir.«
    »Das habe ich mir fast gedacht. Sie scheint die meiste Zeit mit Nachsitzen verbracht zu haben.«
    »Das auch. Was die Sache für mich — und sicher auch für die anderen Lehrer, mit denen Sie sich übrigens gern unterhalten dürfen — so frustrierend gemacht hat, war, dass sie eigentlich ein sympathisches junges Mädchen war. Intelligent, umgänglich, freundlich... zumindest gegenüber Erwachsenen. Bei ihren Klassenkameraden war sie nicht besonders beliebt, aber den Lehrkräften gegenüber war sie ausgesprochen nett. Wenn man ihr ins Gewissen redete, hatte man durchaus das Gefühl, auf Verständnis zu

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