Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
wurde. Ich setzte mich in einen Empfangsraum aus Chrom und Plastik, trank kostenlosen Kaffee, der ekelhaft schmeckte, aus einem Styroporbecher, und sah mir dazu zerfledderte alte Hefte von Arizona Highways an. Das hielt ich ungefähr vier Minuten aus. Dann ging ich hinaus. Wie ich es mir in letzter Zeit zur Gewohnheit gemacht hatte, suchte ich mir eine Telefonzelle und erledigte von dort aus einige geschäftliche Angelegenheiten. Wenn ich den Bogen erst mal richtig raus hatte, würde ich wahrscheinlich ganz auf ein Büro verzichten können.
Ich rief Lieutenant Whiteside im Betrugsdezernat an und brachte ihn aufs laufende. »Ich finde, es wird Zeit, Fotos zu veröffentlichen«, sagte er. »Ich werde auch gleich mit der lokalen Fernsehstation sprechen und sehen, was die Leute dort für uns tun können. Die Öffentlichkeit soll wissen, daß diese Burschen unterwegs sind. Vielleicht bekommen wir dann von jemandem einen Tip.«
»Hoffen wir’s.«
Mit meinem neuen Rückfenster tuckerte ich wieder zum Büro zurück und verbrachte die nächsten anderthalb Stunden an meinem Schreibtisch. Ich wollte in der Nähe des Telefons bleiben, für den Fall, daß Eckert sich meldete. Inzwischen rief ich Mac an und berichtete ihm. Kaum hatte ich aufgelegt, läutete das Telefon.
»Kinsey Millhone Privatdetektei.«
Einen Moment blieb es still, dann sagte eine Frau: »Oh. Ich dachte, das wäre ein Anrufbeantworter.«
»Nein, ich bin es selbst. Wer ist denn am Apparat?«
»Hier spricht deine Cousine Tasha Howard aus San Francisco.«
»Ach, ja, Tasha. Liz hat mir schon vor dir erzählt. Guten Tag.« Im Geist trommelte ich mit den Fingern und hoffte, sie schnell abwimmeln zu können, damit die Leitung frei war, falls Wendell Jaffe oder Eckert anrufen sollten.
»Guten Tag«, sagte sie. »Hier ist etwas passiert, und ich dachte mir, es würde dich vielleicht interessieren. Ich habe eben mit Grands Anwalt in Lompoc gesprochen. Das Haus, in dem unsere Mütter großgeworden sind, soll entweder an einen anderen Ort verlegt oder abgerissen werden. Grand streitet deswegen seit Monaten mit der Gemeinde, und wir sollen angeblich bald hören, wie entschieden worden ist. Sie möchte das Haus unter Denkmalschutz stellen lassen. Der ursprüngliche Bau stammt aus der Zeit der Jahrhundertwende. Das Haus ist schon seit Jahren unbewohnt, aber es könnte restauriert werden. Sie hat noch ein anderes Grundstück, auf dem das Haus aufgestellt werden könnte, wenn die Gemeinde zustimmt. Wie dem auch sei, ich dachte mir, du würdest das Haus wiedersehen wollen, da du ja selbst einmal dort warst.«
»Ich war dort?«
»Aber sicher. Erinnerst du dich nicht? Ihr vier — Tante Gin, deine Eltern und du — kamt her, als Burt und Grand zur Feier ihres zweiundvierzigsten Hochzeitstags die große Kreuzfahrt machten. Eigentlich wollten sie sie zum vierzigsten machen, aber sie brauchten zwei Jahre, um sich zu entschließen. Wir Kinder durften alle miteinander spielen, und du bist von der Schaukel gefallen und hast dir das Knie aufgeschlagen. Ich war damals sieben, also mußt du ungefähr vier gewesen sein. Vielleicht auch ein bißchen älter, aber ich weiß, daß du noch nicht zur Schule gegangen bist. Tante Rita hat uns allen Erdnußbutterbrote mit Dillgurken gemacht, die ich heute noch mit Leidenschaft esse. Ihr solltet innerhalb der nächsten zwei Monate zurückkommen. Es war schon alles abgemacht.«
»Aber es ist nie dazu gekommen«, sagte ich und dachte: Nicht einmal die Erdnußbutterbrote mit Dillgurken sind mir geblieben.
»Nein«, sagte sie. »Na, jedenfalls dachte ich mir, wenn du das Haus sehen könntest, würden vielleicht manche Erinnerungen wiederkehren. Ich muß sowieso geschäftlich nach Lompoc. Ich würde dir gern alles zeigen.«
»Was arbeitest du?«
»Ich bin Rechtsanwältin. Nachlaßsachen und Treuhandgeschichten und so. Die Kanzlei hat hier ein Büro und ein zweites in Lompoc. Deswegen fliege ich eigentlich dauernd hin und her. Wie sehen deine Termine in den nächsten Tagen aus? Hast du ein bißchen freie Zeit?«
»Da muß ich erst mal überlegen. Ich danke dir für dein Angebot, aber im Augenblick habe ich mit einem Fall zu tun. Weißt du was? Gib mir doch einfach die Adresse. Wenn ich es mir leisten kann, nach Lompoc zu fahren, kann ich mich ja umsehen, und wenn nicht — nun, dann kann man es eben nicht ändern.«
»Ja, wenn’s nicht anders geht«, meinte sie widerstrebend. »Eigentlich hatte ich gehofft, dich zu sehen. Liza hatte das
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