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Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Titel: Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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überschritten hat. Er war einer dieser kleinen Typen, voller Komplexe und tierisch leicht reizbar. Von Alfie kann ich das nicht behaupten. Er wirkte harmlos. Pinkie ist ein anderer Fall. Wer auch immer Pinkie umgebracht hat, hat meiner Meinung nach einen Orden verdient. Aber sagen Sie das nicht weiter. Dolores regt sich auf, wenn sie mich so reden hört. Mir fällt auf, dass ich die ganze Zeit rede.« »Dafür bin ich Ihnen dankbar.«
    »Das ist schön. Ich danke Ihnen für Ihre Dankbarkeit. Aber jetzt sind Sie dran. Was hat eine Privatdetektivin mitten in Ermittlungen in einem Mordfall verloren? Soweit ich zuletzt gehört habe, gibt es keinen Verdächtigen, also arbeiten Sie wohl nicht für den Pflichtverteidiger.«
    Aufgrund seiner Offenheit fand ich, dass er Anspruch auf eine Erklärung hatte. Ich schilderte ihm die Lage, indem ich mit Selma Newquist begann und mit Colleen Seilers aufhörte. Das einzige, was ich wegließ, waren die Einzelheiten der beiden Morde. Er schien sich nicht für Details zu interessieren, und ich hätte die Informationen auch nicht für alles Geld der Welt preisgegeben. Währenddessen vernahm ich unterschwellig eine Reihe seltsamer Geräusche aus dem Nebenzimmer. Zuerst dachte ich, sie kämen aus einem Radio oder Fernseher, doch die Sätze wiederholten sich in leblosem und mechanischem Tonfall. Homer hörte es auch und fing meinen Blick auf. Er neigte den Kopf in Richtung des kurzen Flurs, der offenbar zu einem Schlafzimmer führte. »Dolores ist da hinten. Wollen Sie mit ihr sprechen?« »Wenn Sie einverstanden sind.« »Sie verkraftet es schon«, meinte er. »Lassen Sie mir einen Moment Zeit, dann erkläre ich ihr, worum es geht. Vielleicht hat sie etwas hinzuzufügen.« Er ging den Flur hinunter bis zu einer Tür und klopfte einmal, bevor er hineinging. Als er durch den schmalen Spalt schlüpfte, war mir einen Augenblick lang mulmig. Ich befand mich in einem fremden Haus in Gesellschaft eines Mannes, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ich hatte ihm alles abgenommen und ihm instinktiv vertraut, obwohl ich nicht wußte, warum. Eigentlich hatte ich ja nur seine Aussage, dass Dolores im anderen Zimmer war. Plötzlich stellte ich mir vor, wie er mit dem Schlachtermesser in der Hand aus dem Schlafzimmer käme. Aber glücklicherweise ist selbst das Leben einer Privatdetektivin nur selten so aufregend. Die Tür öffnete sich wieder, und Homer winkte mich hinein.
    Auf den ersten Blick dachte ich, Dolores Ruggles könne keinen Tag älter als einundzwanzig sein. Später erfuhr ich, dass sie achtundzwanzig war, was mir immer noch zu jung dafür erschien, um mit einem Mann in Homers Alter verheiratet zu sein. Schmal und zierlich saß sie in einem Zimmer voller Barbiepuppen an einer Werkbank. Vom Boden bis zu Decke, in unglaublich vielen verschiedenen Stilrichtungen gekleidet, saßen diese faden Plastikfrauen in ihren winzigen Klamotten da: Strandkleider, Abendkleider, Kostüme, Pelze, Shorts, Capes, Leggings, Badeanzüge, Baby-Doll-Schlafanzüge, Futteralkleider - jedes Stück mit den passenden Accessoires versehen. Es gab eine ganze Reihe Barbie-Bräute; allerdings habe ich mir Barbie nie verheiratet vorgestellt. In der Reihe darunter saßen zwanzig Barbies in Stewardessen- und Krankenschwestern-Uniformen - anscheinend war damit das gesamte Spektrum von Berufen abgedeckt, die ihr offenstanden. Einige der Puppen lagen noch in ihren Schachteln, manche standen offen da, an runden Plastikständern befestigt. Ich sah eine weitere Reihe sitzender Barbies -schwarz, blond und brünett -, die langen, perfekt geformten Beine ausgestreckt wie bei einer Tanzgruppe, alle ohne Schuhe, die makellosen Gliedmaßen in fast spitzen Zehen endend. Ihre Arme waren lang und unglaublich glatt. Sicher hatten sie zusätzliche Wirbel im Hals, um das Gewicht ihrer voluminösen Haarmähnen zu tragen. Ich gestehe, dass mir die Worte fehlten. Homer lehnte an der offenen Tür und beobachtete meine Reaktion.
    Ich wußte, dass nun etwas vor mir erwartet wurde, also sagte ich in hoffentlich ausreichend respektvollem Tonfall: »Erstaunlich.«
    Homer lachte. »Ich habe mir schon gedacht, dass Ihnen das gefallen würde. Ich kenne keine einzige Frau, die einem Zimmer voller Puppen widerstehen könnte.«
    »Ah«, machte ich.
    Dolores sah mich schüchtern an. Sie hatte eine Puppe auf dem Schoß, allem Anschein nach keine Barbie, sondern ein anderer Typ. Mit einem kleinen Hammer und einem Tapetenmesser schnitt sie ihr den Bauch auf.

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