Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
Programm aufgenommen. Er hat eine Fabrik in Taiwan, die auch Teile für andere Firmen herstellt. Spendet tonnenweise Zeug an Kinderkliniken im ganzen Land.«
»Schön für ihn. Das freut mich zu hören. Und was ist mit ihr? Was treibt sie so?«
»Sie lebt wie Gott in Frankreich und wurde zur Mrs. Großkotz. Mitgliedschaft im Countryclub und der ganze Mist. Wenn du sie besuchst, grüß die beiden schön von mir.«
»Vielleicht tu ich das.«
Nachdem ich mich von Shack verabschiedet hatte, fuhr ich ins Büro und machte meine Post auf. Es war weder Interessantes noch Dringendes dabei. Die meisten meiner anderen Fälle waren in der Schwebe — ich wartete auf Rückrufe oder Antworten auf schriftliche Anfragen verschiedener Art. Ich räumte meinen Schreibtisch auf und spülte die Kaffeekanne. Ich staubte die Blätter des falschen Ficus ab. Eigentlich hatte ich keinen Grund zu bleiben, aber ich konnte noch nicht nach Hause. Ich war unruhig und grübelte über Mickey nach. Hatte ich mich in ihm geirrt? Hatte ich überstürzt gehandelt und vorschnell Schlüsse gezogen, weil es mir so in den Kram passte? Als Quintero starb, war ich ohnehin desillusioniert, was Mickey betraf. Ich wollte aus der Ehe ausbrechen, und Quinteros Tod lieferte mir dafür den idealen Vorwand. Aber vielleicht war das auch schon alles. War es denkbar, dass Mickey den Polizeidienst quittiert hatte, um meinen Stolz zu schonen und gleichzeitig zu vermeiden, Dixie bloßstellen zu müssen? Wenn Mickey unschuldig war, wenn ich gewusst hätte, wo er in jener Nacht gewesen war, wäre die Angelegenheit womöglich anders verlaufen, und er könnte immer noch Polizist sein. Ich wollte es nicht glauben, aber ich konnte dem Gedanken nicht ausweichen.
Ich streckte mich auf dem Teppich aus und legte mir einen Arm über die Augen. Hatte es überhaupt einen Sinn, sich in diese Geschichte hineinzusteigern? Es war aus und vorbei. Fünfzehn Jahre waren vergangen. Was auch immer die Wahrheit war, Mickey hatte sich dafür entschieden zu kündigen. Das war Tatsache. Ich hatte ihn verlassen, und unsere Leben hatten unwiderruflich eine andere Richtung genommen. Wozu der Angelegenheit nachgehen, wenn es ohnehin keine Möglichkeit gab, das Geschehene zu ändern?
Was auf dem Spiel stand, war meine Integrität — was ich an Ehrgefühl besaß. Ich kannte meine Grenzen. Ich wusste um die gelegentlichen Aussetzer, deren ich fähig bin, aber einen Verstoß dieser Größenordnung konnte ich nicht ignorieren. Mickey hatte das verloren, was ihm am meisten bedeutete, und vielleicht war dies einfach sein unausweichliches Schicksal. Aber wenn ich unwissentlich zu seinem Niedergang beigetragen hatte, dann musste ich dazu stehen und mit ihm ins Reine kommen.
6
Forbe’s Run war eine kurvenreiche anderthalbspurige Straße, ein asphaltiertes Band, das sich vor und zurück wand, während es sich die Hügel hinauf schlängelte. Schwere Äste immergrüner Eichen hingen über die Fahrbahn. Soweit ich es überblickte, waren keine Häuser sichtbar, aber eine Reihe von Schildern wies darauf hin, dass es immer wieder Abzweigungen zu großen Anwesen gab. Ich sah, wie die Hausnummern anstiegen und die Schilder von einer Straßenseite zur anderen sprangen, während sie zwischen geraden und ungeraden Zahlen abwechselten: 317, 320, 323, 326. Das Anwesen der Hightowers, Nummer 329, war von einer niedrigen Mauer aus Natursteinen umgeben und durch ein hölzernes Tor zugänglich, das elektronisch gesteuert aufschwang, sowie ich auf den Knopf drückte. Entweder erwarteten die Hightowers jemanden, oder es kümmerte sie wenig, wer vor ihrer Tür auftauchte.
Die Zufahrt zog sich vielleicht vierhundert Meter weit hin und beschwor Visionen eines echt englischen Herrenhauses am anderen Ende herauf, eines dreistöckigen Tudor-Baus mit steilem Schieferdach. Was ich jedoch schließlich zu sehen bekam, war etwas ganz anderes. Das Haus war modern: lang und flach, quasi an den Erdboden angeschmiegt und mit einem übertrieben breiten Dach, das in der Mitte einen Giebel bildete. Ich sah vier massive Kamine aus Naturstein, Gruppen von Fächerpalmen und kolossale schwarze Felsen, so groß wie mein Auto, die der Vesuv ausgespuckt haben musste und die man um ihrer Wirkung willen hierher befördert hatte. Zur Rechten lag ein Block mit vier Garagen.
Ich parkte auf der großzügigen runden Fläche vor dem Haus und ging den breiten, ansteigenden Betonweg hinauf. Eine Frau von etwa Dreißig mit Tennisschuhen, Jeans und einem
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