Kinsey Millhone 17 - Totenstille - Q wie Quittung
gemeint, es wäre ein Wunder, dass es nicht schon früher passiert ist. Jetzt haben wir Rauchmelder, Hitzemelder und eine Sprinkleranlage – einfach alles. Wir können von Glück sagen, dass wir nicht in Schutt und Asche geendet sind. Erfreulicherweise gab es auch weder Verletzte noch Tote. Wen juckt schon der Papierkram? Der sammelt sich schneller an, als ich ihn ablegen kann.«
»Fühlen sich die Schüler hier wohl?«
»Anscheinend schon. Natürlich sind wir ein Magnet für Unruhestifter – Schulabbrecher, notorische Schwänzer, Kleinkriminelle. Zu uns kommen sie, wenn alle anderen aufgegeben haben. Wir haben nur eine Hand voll Lehrer, und wir halten die Klassen klein. Die meisten unserer Schüler tun sich in einer akademisch orientierten Umgebung schwer. Im Grunde sind die meisten nette Kinder, aber manche sind langsam. Haben eine kurze Aufmerksamkeitsspanne. Sie lassen sich leicht frustrieren, und die meisten haben ein miserables Selbstbild. Ein richtiger Highschool-313 Lehrplan raubt ihnen den Mut. Hier liegt das Hauptgewicht auf der praktischen Arbeit. Wir decken die Grundlagen ab – Lesen, Schreiben, Rechnen –, aber wir bringen ihnen auch bei, wie man einen Lebenslauf verfasst, wie man sich zu einem Vorstellungsgespräch anzieht und wie man sich benimmt. Und dann noch Kunst und Musik zur Abrundung.«
»Klingt, als sollte es jede Schule so machen.«
»Sollte man meinen, nicht wahr?«
Das Telefon auf ihrem Tisch klingelte, aber sie regte sich nicht.
»Wollen Sie nicht rangehen?«
»Die probieren’s schon noch mal. Ich bin oft nicht im Büro und das hat sich rumgesprochen. Haben Sie eine Visitenkarte?«
»Sicher.«
»Geben Sie mir doch eine Telefonnummer. Dann versuche ich Betty Puckett zu erreichen und sage ihr, sie soll Sie anrufen.«
»Das wäre prima.« Ich zog eine Karte heraus und notierte den Namen des Motels, die Telefonnummer und meine Zimmernummer auf der Rückseite. »Wirklich nett von Ihnen.«
»Ich kann zwar nicht beschwören, dass sie das Mädchen kennt, aber wenn sie je hier an der Schule war, dann verspreche ich Ihnen, dass Betty mit ihr zu tun gehabt hat.«
»Noch eine Frage: Dr. Nettleton war sich relativ sicher, dass das Mädchen in einer Pflegefamilie gelebt hat. Meinen Sie, da könnte mir das Sozialamt weiterhelfen?«
»Das bezweifle ich. Sie haben das Büro schon vor Jahren geschlossen, und ich habe keine Ahnung, wie Sie die alten Akten auftreiben wollen. Es müsste zu Riverside County gehören, aber mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Da haben Sie einen schweren Kampf vor sich. Die sind schlimmer als Schulen, was den Zugang zu Akten betrifft, vor allem, wenn es um Jugendliche geht.«
»Schade. Ich hatte mir Hoffnungen gemacht, aber dann wird das wohl nichts.«
»Tut mir Leid.«
»Irgendwie finde ich es schon heraus. Es ist nur eine Frage der Zeit.«
Als ich die Lockaby Highschool verließ, wusste ich zwar nicht mehr als vorher, aber ich fühlte mich ermutigt. Im Auto blieb ich erst eine Weile sitzen und klopfte einen kurzen Rhythmus auf dem Lenkrad. Was nun? In meiner momentanen Verwirrung hatte ich gar nicht daran gedacht, Dolan zu fragen, was er von Polizei und Sheriffbehörde in Quorum über alte Vermisstenmeldungen erfahren hatte. Ich würde mich erkundigen, wenn ich ihn besuchte. In Gedanken ging ich unsere Liste durch. Der einzige Punkt, den wir noch nicht bearbeitet hatten, war die Frage, ob zur gleichen Zeit, als der Mustang gestohlen wurde, auch eine Plane abhanden gekommen war. Ich ließ den Wagen an und stieß rückwärts aus der Parklücke. Dann bog ich links auf den Kennedy Pike ein und fuhr in die Stadt zurück.
Der rote Backsteinbungalow der McPhees sah verlassen aus – geschlossene Türen, zugezogene Vorhänge und kein einziges Auto in der Einfahrt. Ich fuhr langsam daran vorbei, wendete an der nächsten Kreuzung und fuhr wieder zurück. Dann parkte ich gegenüber dem Haus. Die Vorstellung, Ruel abermals zu begegnen, behagte mir nicht, aber wen hätte ich sonst nach der Plane fragen können? Auch wenn ich mich beim Abschleppen des Mustang weitgehend im Hintergrund gehalten hatte, würde er mich dennoch mit seinem Gesichtsverlust in Verbindung bringen. Ich blieb sitzen und musterte das Haus, während ich überlegte, ob ich die Frage am Telefon abhandeln konnte. Feiger Gedanke. Wann immer möglich, ist es besser, die Leute direkt zu befragen. Ich wollte gerade losfahren und den Besuch auf eine spätere Stunde verschieben, als ein Auto angefahren kam,
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