Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt - R wie Rache
vor?«
Nord strengte sich an, lauter zu sprechen. »Ich habe sie gebeten zuzuschließen. Ich wollte keine weiteren Unterbrechungen.«
Ihre Körpersprache wechselte von Argwohn zu Gekränktheit.
»Das hättest du ja sagen können. Wenn du mit Miss Millhone persönliche Angelegenheiten zu besprechen hast, wäre ich nicht im Traum darauf gekommen, euch zu stören.« »Danke, Lucinda. Das freut uns.«
»Vielleicht habe ich ja meine Kompetenzen überschritten.«
Ihr Ton war frostig, und der Inhalt zielte darauf ab, Entschuldigungen oder Versicherungen auszulösen.
Nord gewährte ihr weder das eine noch das andere. Er hob nur die Hand, was beinahe einer Geste der Entlassung gleichkam. »Sie würde sich gern Rebas Zimmer ansehen.«
»Wozu?«
Nord wandte sich an mich. »Den Flur entlang auf der rechten –«
Lucinda fiel ihm ins Wort. »Ich zeige es ihr gern. Wir wollen ja nicht, dass sie allein hier herumstreunt.«
Ich sah Nord an. »Ich melde mich wieder bei Ihnen«, sagte ich.
Ich folgte Lucinda den Flur entlang, ohne ihre steife Haltung und ihre Weigerung, mich anzusehen, weiter zu beachten. An Rebas Zimmer angelangt, öffnete sie die Tür und stellte sich mir dann in den Weg, so dass ich gezwungen war, mich an ihr vorbeizuquetschen. Ihr Blick folgte mir. »Hoffentlich sind Sie jetzt zufrieden. Sie halten sich für so nützlich, dabei bringen Sie ihn um.«
Ich hielt ihrem Blick stand, doch sie hatte bei weitem mehr Übung im Verabreichen vernichtender Blicke. Ich wartete. Ihr Lächeln war verkniffen, und ich wusste, dass sie zu der Sorte Frau gehörte, die Mittel und Wege finden würde, sich zu rächen. Lucinda, der Inbegriff der Bosheit. Als sie in den Flur hinaustrat, schloss ich die Tür und verriegelte sie. Das war die Sprache, die sie verstand.
Ich wandte mich um, lehnte mich gegen die Tür und sah mich um, um einen Gesamteindruck von Rebas Zimmer zu gewinnen, ehe ich mit der Suche begann. Das Bett war gemacht, und auf dem Nachttisch standen ordentlich aufgereiht ein paar persönliche Erinnerungsstücke: ein gerahmtes Foto ihres Vaters, ein Buch, ein Notizblock und ein Stift. Kein Durcheinander. Keine Kleidungsstücke auf dem Fußboden. Nichts unter dem Bett. Ein Telefon, aber kein privates Adressbuch. Ich ging die Schubladen durch und stieß auf Gegenstände, die schon seit Jahren hier lagern mussten: Schulunterlagen, Prüfungshefte, ungeöffnete Schachteln mit Briefpapier, die sie vermutlich geschenkt bekommen hatte und die gewiss nicht ihrem Geschmack entsprachen – es sei denn, sie schwärmte für Karten mit kleinen Kätzchen und putzigen Sprüchen darauf. Keine private Korrespondenz. Die Schubladen in der Kommode aufgeräumt.
Ich inspizierte den Schrank, wo mehrere leere Bügel auf die Zahl verschwundener Kleidungsstücke hinwiesen – nach meiner Zählung sechs. Zu den Dingen, die sie dagelassen hatte, zählten ein marineblauer Blazer und eine Bomberjacke aus Leder, die schief auf dem Bügel hing. Ich konnte nicht wissen, was sie eingepackt hatte. Ich wusste ja nicht einmal, wie viele Koffer sie besaß und wie groß diese waren. Beiläufig ging ich die Sachen durch und dachte an Kleidungsstücke zurück, in denen ich sie gesehen hatte. Ich fand weder ihre Stiefel noch einen der Pullover, an die ich mich erinnerte – einen aus roter Baumwolle und einen dunkelblauen mit Kapuzenkragen. Beide hatte sie in den ersten Tagen nach ihrer Haftentlassung getragen, ein Hinweis darauf, dass es möglicherweise ihre Lieblingsstücke waren und sie sie unterwegs dabeihaben wollte.
Ich ging ins Badezimmer, das fast kahl war: gelbbraune Marmorfliesen und eine ebensolche Ablagefläche, makellos geputzte Spiegel und der Geruch nach Seife. Das Medizinschränkchen war leer. Kein Deo, kein Eau de Toilette, keine Zahnpasta. Keine rezeptpflichtigen Medikamente. Auf der Marmorfläche war an der Stelle, wo ihre Zahnbürste gelegen hatte, ein weißer Fleck. Im Wäschekorb fanden sich Bluejeans, T-Shirts, Unterwäsche und ein noch leicht feuchtes Badetuch, das ganz oben hineingestopft war. Die Duschwanne war trocken, der Abfalleimer leer.
Ich kehrte zum Schrank zurück und studierte ihre Sachen. Dann nahm ich die Bomberjacke vom Bügel und durchsuchte die Taschen. Darin fand ich ein paar Münzen und einen Abschnitt von einem anonymen Rechnungsblock, der bezeugte, dass sie für einen Cheeseburger, Chili-Pommes und ein Cola bezahlt hatte. Weder das Datum noch der Name des Lokals waren genannt. Ich steckte den Beleg ein und
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