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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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Mama zahlt das.«
    »Wo ist denn deine Mama?«
    Nikita weiß nicht weiter, sie beißt sich auf die bemalten Lippen, die nach fettigem Parfum und Angst schmecken. Die Haarsträhne fällt ihr wieder vors Gesicht. Die Frau an der Kasse betrachtet die Szene fasziniert, hat ihren Kaugummi im Mund und die Geldscheine in ihrer Hand vergessen. Karla verstaut die Spültücher im Wagen.
    Nikita wirft die Strähne wieder nach hinten. »Da ist meine Mama.« Sie nickt mit dem Kopf Richtung Kasse.
    Karla zuckt kurz. Die Geschäftsführerin tastet sie mit Blicken ab. Sie und die Bierpaletten. »Stimmt das, ist das Ihre Tochter?«
    »Ja«, sagt Karla. Nikitas Haarsträhne verdeckt wieder ihre Augen, ihren lächelnden, clownroten Mund sieht man noch.
    »Haben Sie mitbekommen, was sie gemacht hat?« fragt die Geschäftsführerin scharf.
    »Nein, ich habe eingekauft. Man kann seine Augen nicht überall haben, oder?«
    Der strafende Blick der Geschäftsführerin verweilt auf den Bierpaletten. »Ein Wohnviertel ist das hier«, sagt sie angeekelt zu einem unsichtbar nickenden Publikum. Die Kassiererin beeilt sich, Karlas Scheine in die Kasse und in Sicherheit zu bringen. Sie zählt das Wechselgeld knackend auf die Plexiglasabdeckung des Scanners.
    »Was bekommen Sie noch für diesen Tester?« fragt Karla gereizt.
    »Gar nichts«, mischt sich die Frau von der Tür ein. »Der bleibt hier, aber ich warne Sie, das nächste Mal bin ich nicht so großzügig.« Sie greift sich die verschmierte Lippenstifthülse und wirft sie schwungvoll in den Papierkorb. »Haben Sie vielleicht Pröbchen?« fragt Nikita, als die Frau sich umdreht. »So kleine Lippenstifte?« Die Augen der Geschäftsführerin verengen sich zu Schlitzen.
    Karla steht immer noch an der Kasse. »Du kannst dir einen von den Lippenstiften aussuchen, Nikita, aber mach hin, ist Viertel vor neun.« Nikita saust durch die Warengondeln, der Ranzen tanzt auf ihrem Rücken.
    »Halten Sie das für eine angemessene Erziehung?« fragt die Geschäftsführerin spitz. Karla spricht nicht mit ihr, sondern sucht das Geld für den mockabraunen Lippenstift zusammen, den Nikita aufs Band gelegt hat. Mokkabraun. Karla hatte mit einem entsetzlichen Pink gerechnet.
    Zum erstenmal schaut sie Nikita direkt ins Gesicht und entdeckt, daß das kleine Mädchen mit den grotesk geschminkten Lippen kein Kind mehr ist. War wohl nie eins. Karla streckt die rechte Hand nach Nikitas linker aus. Nikita erschrickt erst, dann greift sie zu. Ihre Hand ist leicht wie ein Watteball.
    »Wirklich widerlich, dieses Pack vom Kattenbug«, sagt laut vernehmlich die Geschäftsführerin. »Und bringen Sie gefälligst den Wagen zurück, wenn Sie umgeladen haben.«
    Die Tür fällt zu. Nikita läßt Karlas Hand los. Sie krault Filou, der die Sackkarre bewacht. »Soll ich Ihnen tragen helfen?« fragt sie unter der Haarsträhne hervor.
    »Mach, daß du Land gewinnst.«
    »Kann ich den Lippenstift behalten?«
    Karla nickt sparsam. »Du kommst zu spät zur Schule.«
    »Nee, ist gleich um die Ecke.«
    »Dann wisch dir den Mund ab und gib Gas.« Sie klingt wie ihre eigene Mutter.
    Nikita macht das nichts, sie fährt sich mit dem Handrücken über die Lippen. Ihre Wangen bekommen rote Striemen. »Bis um eins. Tschö, Filou.« In Karla steigt Panik auf, als sie die Paletten umlädt.
    Kurz vor dem Kiosk trifft sie auf Kwiatkowski. Er trägt einen braunen Karton unter dem Arm, Thunfisch im eigenen Saft, 24 Dosen mal 125 Gramm Abtropfgewicht steht darauf.
    »Morgen.« Er macht eine Pause. »Johanna.«
    »Was? Ach so. Sie brauchen heute nicht mitmachen, Lena weist mich gerade ein. Geht schon ganz gut.«
    Sie drängt ihn mit der Sackkarre beiseite.
    »Wollte nur was vorbeibringen.« Kwiatkowski macht Lena durch die eingelegte Glasscheibe in der Ladentür ein Zeichen, sie dreht den Schlüssel, Kwiatkowski hält für Karla und Filou die Tür auf.
    »Wieviel?« fragt Lena fast schroff in Richtung Karla. Sie hat sich inzwischen eine Menge Gedanken gemacht wegen der drei Hunderter.
    »245,87 Mark«, sagt Karla.
    Lena setzt eine Lesebrille mit zerkratzten Plastikgläsern auf, studiert tatsächlich den Kassenbon. »Und wofür sind die sieben Mark neunzig?« Kwiatkowski guckt belästigt auf.
    »Ach, die hab ich vergessen. Müssen Sie mir vom Lohn abziehen, habe noch einen Lippenstift gekauft.«
    Lena schweigt eisig. Lippenstift von ihrem Geld. Lena kauft keine Lippenstifte und ist ihr Leben lang mit Nivea-creme ausgekommen. Alles andere ist

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