Kirchweihmord
stickig und nach Schweiß. Ein zweiter Junge mit dem gleichen blonden Haar und derselben kurzen Stoppelfrisur wie Oswin stand neben Johannes Herzing am Tisch.
»Grüß Gott!«, sagte Katinka rasch. »Ich war ohnehin in Scheßlitz. Haben Sie zwei Minuten für mich?«
Johannes Herzing wischte sich Leimreste an die Jeans.
»Lass das schön hier liegen!«, mahnte er Oldrick. Er schob Katinka zur Tür hinaus. Die beiden Jungen kamen sofort hinterher.
»Kann ich mich bei Ihnen im Haus mal umsehen?«, fragte Katinka leise. Johannes Herzing zuckte die Schultern. »Sicher. Aber was meinen Sie zu finden?«
»Hinweise, die mir etwas über den Verbleib Ihrer Frau sagen können«, murmelte Katinka, denn die Kinder hatten die Ohren auf Empfang gestellt und lauerten an der Kellertreppe. Herzing nickte.
»Im ersten Stock ist Claudias Reich. Ihr Arbeitszimmer, wo sie sich für die Schule vorbereitet hat, im Augenblick braucht sie das ja nicht, aber sie sitzt dort gern und malt manchmal Aquarelle, schreibt Briefe für ›Amnesty International‹, geht ins Internet. Schauen Sie sich ruhig um. He, Oldrick, lass das.«
Geplärr setzte ein. Katinka flüchtete durch eine angelehnte Terrassentür ins Haus. Sie musste unbedingt die letzten Stunden von Claudia Herzing vor ihrem Verschwinden zusammenkriegen. Ihr Arbeitszimmer war aufgeräumt, aber nicht übertrieben geleckt. Auf einem kleinen Korbtischchen lagen Zeitschriften, einige aufgeschlagen, als habe Claudia Herzing nur mal eben ihr Zimmer verlassen. Ein Computer thronte auf dem Schreibtisch vor dem Fenster. Hohe Einbauregale beherbergten dicke Wälzer über Pädagogik. Katinka betrachtete beinahe neidisch die Sammlung englischer Romane. Außerdem schien Claudia Herzing ein Fan der Gedichte Emily Dickinsons zu sein. Etliche Bände der Lyrikerin reihten sich aneinander.
Halbherzig schaltete Katinka den PC ein. Ungeduldig trommelten ihre Finger auf die Tischplatte. Fahrig zog sie die Schubladen auf und durchwühlte den Inhalt: Lineal, Schreibstifte, ein Lehrerkalender. Systematisch, ich muss das systematisch durchgehen, ermahnte sich Katinka. Das satte »Plingling« des Computers ließ sie zusammenfahren. Ein sauberes Desktop lag vor ihr, mit einigen Ordnern, die Claudia scheinbar nach Klassenstufen sortiert hatte. Die Dateien waren nicht besonders aktuell, aber Claudia hatte ja auch Elternzeit, wie sich Katinka ins Gedächtnis rief. Sie öffnete den Explorer und ging der Reihe nach alle Ordner durch, aber es fiel ihr nichts Besonderes auf. Es gab einen Ordner mit dem Titel ›Korrespondenz‹, der allerdings nur Schreiben an die Krankenkasse und einen Rundbrief mit einer Einladung an Lehrerkollegen enthielt. Katinka öffnete das E-mail-Programm und wurde zur Eingabe des Passwortes aufgefordert. Sie zögerte, stand dann auf und streckte sich. Sie war schon wieder durstig. Der PC machte ihr Angst, als sei er ein hinterhältiges Tier aus der Fanatsy-Welt. Dann fiel ihr auf, dass sie seit Stunden nicht an Tom gedacht hatte. Sie könnte ihn anrufen und fragen, ob er einen Weg wüsste, den Passwortschutz zu umgehen. Der Gedanke rief ihre Aggression auf den Plan. Sie beschloss, nach unten zu gehen und Johannes Herzing zu fragen.
Er stand wieder im Hobbykeller, die beiden blonden Jungs neben sich.
»Herr Herzing«, sagte Katinka. Sie wollte ihn nicht von seiner Feinarbeit ablenken. Hingebungsvoll fummelte er an den Tragflächen des Flugzeugs herum. »Entschuldigung. Wie lautet das Passwort für das E-mail-Programm?«
Herzing sah auf. Er blickte verwirrt drein, als müsse er sich erst aus der Modellbauwelt herauskämpfen. Der Arme, schoss es Katinka durch den Kopf. Er sucht wie ich seine Möglichkeiten, sich abzulenken. Dabei hat er ganz andere Sorgen als ich.
»Sonne.«
»Wie die ›Sonne‹?«, fragte Katinka perplex.
Herzing nickte bestätigend und Katinka flitzte rasch wieder die Treppen hinauf, die neugierigen Blicke von Oldrick und Oswin im Nacken.
Sie tippte ›Sonne‹ in das vorgesehene Feld und wartete.
»Haben Sie das Kennwort vergessen? Geben Sie das Kennwort erneut ein. Beachten Sie die Groß/Kleinschreibung«, meldete der Computer. »Scheiße!«, rief Katinka und presste schnell die Finger auf ihren Mund. Unerträglich heiß schien es ihr in dem Zimmer. »Claudia Herzing, wo sind Sie«, fügte sie halblaut hinzu und öffnete das Fenster. Es ging auf den Garten, der, das musste Katinka zugeben, die Handschrift Winfried Denningers trug.
Johannes Herzing wusste nichts
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