von einem anderen Passwort. Er bot Katinka an, seinen PC zu verwenden, aber Katinka winkte ab. Die beiden Eheleute hatten jeweils ein eigenes Mailprogramm. Das gleiche wie bei Tom und mir, dachte Katinka, und ich finde das ziemlich vernünftig.
»Hat Ihre Frau irgendwelche besonderen Vorlieben? Komponisten, Länder, Autotypen, Schriftsteller?«
Herzing zuckte die Schultern, aber in dem Moment klatschte Katinka so heftig in die Hände, dass die Kinder von dem lauten Knall aufgeschreckt zusammenfuhren.
»Ich denke, ich weiß, wo ich suchen muss«, rief sie und ließ den entgeisterten Johannes Herzing zwischen seinen Flugzeugteilen zurück. Sie stürmte die Treppen hinauf und betrachtete den PC. »O.k.«, sagte sie. »Jetzt geht’s dir an den Kragen.« Sie suchte einige der Emily Dickinson-Bände aus dem Regal. Zuerst versuchte sie es mit den Titeln einiger Gedichte. Negativ. Es kamen ohnehin nur wenige in Frage, die meisten waren viel zu lang für ein Passwort. Der PC brummte drohend. Katinka blätterte in dem kleinen Buch und stieß auf ein Nachwort zu den Gedichten. Emily Dickinson, geboren am 10.12.1830 in Amherst/Massachusetts, las Katinka. Sieben Buchstaben. Amherst. Mit fliegenden Fingern tippte Katinka. Befriedigt piepste der Rechner. Katinka wischte sich die schweißnassen Hände an ihrem Rock ab. Es dauerte eine Weile, bis das Programm eine wohl geordnete E-mail-Oberfläche zum Vorschein brachte. Das Posteingangsfach enthielt wenige nichtssagende Mails, dafür steckten aber über 100 Mails im Ordner »Versendet«. Katinka stöhnte unwillkürlich. Sie kannte schon einige Namen. An Mila Düthorn war fast die Hälfte der Mails gerichtet. Katinka leitete sie ordnungshalber an ihre eigene Mailadresse weiter, obwohl sie kaum die Hoffnung hatte, in den einzelnen Verabredungen für einen Kaffee oder zum Chor etwas Interessantes zu finden. Ein paar Mails gingen an Internetversandhäuser, wo Claudia Bestellungen getätigt hatte. Die meisten waren schon älter. Sie entdeckte Mails an eine Lehrer-Mailingliste und außerdem ein paar unbekannte Namen. Rasch druckte Katinka diese Briefe aus. Dann stutzte sie. Ein Name kam ihr ziemlich bekannt vor. Winfried Denninger, dessen E-mail-Adresse
[email protected] lautete. Katinka fand die Namenwahl reichlich albern, den Inhalt des Briefes an Eagle aber gar nicht.
Lieber Winfried,
ich verstehe nicht ganz, weshalb diese Härte in unseren Umgangston gefunden hat. Johannes und ich sind dir wirklich sehr dankbar für deine Ideen und deinen Einsatz.
Gruß,
Claudia
Katinka blickte auf. Der Garten unter ihr glänzte in der Hitze. Alles wirkte auf wundersame Weise gepflegt, ohne überbehütet zu sein. Sie druckte die Mail aus und verstaute alles in ihrem Rucksack. Dann fiel ihr Blick auf die Adresse
[email protected] . Sie öffnete sie. Erschreckt prallte sie vom Bildschirm zurück.
Liebste,
dein Deutsch ist eine Pracht. Mach dir darüber die wenigsten Sorgen. Ich freue mich unendlich auf dich.
Bis morgen.
C.
Katinka verschluckte sich an ihrer eigenen Atemluft. Hustend blickte sie auf die Datumsangabe. Samstag, 16.8.2003, 20:02 gab der Computer pflichtschuldig an. Liebste?
Katinka checkte noch das Adressbuch des Mailprogramms, aber es war leer. Anscheinend hatte Claudia keine Ahnung, wie man damit umging. Katinka fuhr den Rechner herunter, schaltete den Drucker aus und blieb einen Augenblick im Zimmer stehen.
Liebste?
Wie um zu lauschen hob sie den Kopf und hielt die Luft an. Stille umfing sie. Wenn sie die Gedanken und Gefühle erhaschen könnte, die Claudia begleitet hatten … Katinka seufzte und verließ das Arbeitszimmer. Claudia Herzing hatte sich am Tag vor ihrem Verschwinden mit einer Frau verabredet, in die sie offensichtlich verliebt war. Nun ging es darum, Johannes Herzing einzubeziehen. Wahrscheinlich würde ihn der Schlag treffen. Noch wahrscheinlicher war es, dass er von nichts wusste. Katinka biss sich auf die Zunge, als sie langsam zur Treppe ging. Am besten, sie würde ihm nichts sagen. Claudia mochte all ihre Ausflüge zur vermeintlichen Erholung von der Familie so geplant haben, dass sie ihre Geliebte treffen konnte. Katinka blieb stehen und sah sich um. Sie hatte gemeinen Durst. Irgendeine dieser Türen musste das Bad verbergen. Schnell fand sie, was sie suchte, wusch sich die Hände und trank mindestens einen halben Liter Wasser. Dann lehnte sie ihren Kopf an die kühlen Fliesen. All diese Idylle, dieses perfekte Leben, der wundervolle Garten und die ideale