Kirchweihmord
Toxin frei.«
Katinka sah Uttenreuther an. Ihr wurde beinahe schlecht. Also konnte doch die ganze Stadt dran glauben.
Die Zeltplane wurde beiseite geschoben. Emmerling trat ein.
Hardo beachtete ihn nicht. Er fragte Plöger: »Kann man sich schützen?«
»Klar!«, sagte Plöger. »Das Gefährliche beim Einatmen von Ricin ist, dass ein Lungenödem entsteht. Ein Mundschutz mit Aerosolfilter ist wirksam genug. Allerdings sollte man aufpassen, dass die Augen nicht mit dem Gift in Berührung kommen. Dann kommt es zu einer nekrotisierenden Konjunktivitis, also Bindehautentzündung, das heißt«, er warf einen Seitenblick auf Uttenreuther, »im schlimmsten Fall sterben die Zellen ab und der Mensch wird blind.«
O Gott, dachte Katinka.
»Wir besorgen uns Mundschutze«, sagte Uttenreuther. Er winkte einem Beamten in Uniform.
»Wie viele von diesen Päckchen benötigt unser Täter, um die ganze Sandkirchweih zu sprengen?«, wollte Ka-tinka wissen.
Plöger sah Katinka herablassend an. »Ich weiß nicht, wie viele Leute er umbringen will«, sagte er. »Es genügen einige wenige, unter zehn, um wirklich Schlimmes anzurichten. Entscheidend ist die Giftkonzentration.«
»Wie viele Stunden sind es vom Einatmen des Ricins bis zu den ersten Symptomen?«, schaltete sich Uttenreuther wieder ein.
»Je nachdem. Es kann zwischen acht Stunden und wenigen Minuten dauern.«
Emmerling trat zu ihnen.
»Guten Morgen«, grüßte er. Das Foto auf Plögers Bildschirm spiegelte sich in seinen Brillengläsern. »Haben wir Zuwachs aus der freien Wirtschaft bekommen? Oder aus der Archäologie?«
»Sieht ganz so aus«, erwiderte Katinka. Er musste Erkundigungen über sie eingezogen haben. »Frisches Blut in den Amtszelten, nicht wahr?«
Emmerling presste die Lippen zusammen. Er wandte sich an Uttenreuther. »Wo ist der Amtsarzt?«
»Wird gleich hier sein.«
Katinka zog sich auf ihren Klappstuhl zurück. Ihre Augen und Ohren saugten alles auf, was sie wahrzunehmen in der Lage waren. Jemand von der Feuerwehr kam hinzu. Das Gespräch drehte sich um Schutzkleidung, Kontamination, Notdesinfektion. Sie prägte sich die Gesichter ein, während sie der Diskussion lauschte, die Emmerling zu leiten versuchte, ohne dass irgendjemand auf ihn achtete.
Sie können die Sandkirchweih nicht abblasen, dachte Katinka. Genauso wenig können sie jedem Besucher einen Mundschutz in die Hand drücken. So viele Masken gibt’s gar nicht. Wahrscheinlich besteht nur diese eine Chance: Sie müssen den Täter schnappen, bevor die Päckchen explodieren und ihr Gift freisetzen. Oder sie müssen die Päckchen finden. Aber das wird spaßig. Denn sie wissen nicht mal, wie viele sie suchen müssen.
Jemand kam herein und ließ einen großen Karton auf dem Boden plumpsen. »Die Mundschutze«, sagte er.
Plöger stand auf und begutachtete die grünen Stofffetzen. »Gut«, befand er.
Katinka rückte ihren Stuhl näher an den Karton. Uttenreuther schien nichts zu bemerken. Jemand von der Bereitschaftspolizei erhielt Anweisungen. Emmerling wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ein Techniker brachte kleine Apparaturen, die Katinka vorkamen wie hochbeinige Stechmücken. Es musste sich um winzige Funkgeräte handeln, wie Sicherheitsdienste sie benutzten: Knopf im Ohr und Sender am Gürtel.
Alle waren beschäftigt, sich die Funktionsweise erklären zu lassen. Katinka stand auf. Sie heftete ihren Blick teilnahmslos auf den Boden.
Einer witzelte herum, er würde die Frequenz verstellen und das Pentagon abhören. Der Techniker wurde immer wieder zu Einzelnen gerufen, die mit ihrem Equipment nicht klarkamen. Katinka spannte alle Muskeln an. Sie trat auf den Karton mit den Mundschutzen zu und griff hinein. Scharf beobachtete sie die Männer, die an ihren Spielzeugen herumdrehten. Uttenreuther streifte sich gerade probeweise das Headset über.
Sie nahm drei Masken aus dem Karton und stopfte sie in ihren Hosenbund. Dann hob sie ihren Rucksack auf und näherte sich der Tür. Harduins Blick traf sie, als sie die Zeltplane zurückschlug.
»Palfy!«
Katinka rannte los. Sie war sportlich, aber dass sie so schnell Richtung Markusstraße vorankam, hatte mit der Angst zu tun, als Verliererin in das Ermittlerzelt zurückzukehren. Und da war gleichzeitig noch etwas. Diesem aalglatten Kriminaloberrat gönnte sie den Triumph einfach nicht. Für Harduin tat es ihr auf der einen Seite Leid, er würde Ärger kriegen. Andererseits hatte er kein Recht, sie einfach so zu verpflichten. Sie sah
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