Kirchwies
eine verendende Bärin und ließ die Arme sinken. Ihr knielanges, weiß-grün kariertes Dirndl rauschte, das Samtband um ihren Hals mit dem Edelweißanhänger erzitterte. »Du mit deinen Weibern«, sagte sie mit schiefem Mund. »Bei dir weiß man ja nie.«
»Können wir jetzt weitermachen?«, bat Fritzi. Es war ihr erster Fall. Sie scharrte mit den Hufen und war unternehmenslustig wie selten. Sie sog die alpenfrische Luft tief in ihre Lungen. Das verlieh ihr ein Gefühl, als könne sie über Häuser springen.
Campari ging die paar Schritte zum Gartenhaus und beugte sich vor, um das Polizeiband abzumachen. Er spürte den stechenden Blick seiner Frau im Rücken. Als er sich umdrehte, war sie verschwunden.
»Heirate über den Mist, dann weißt du, wer sie ist«, sagte er leise und versonnen.
neun
Nach dem Brunnerbeck und Wang Ming suchte Campari heute das dritte und letzte Geschäft in der Dorfstraße auf. Den Uhrmacher. Der alte Xari Embacher reparierte Uhren aller Art und verkaufte alles, was mit Uhren zu tun hatte. Von der kleinsten Knopfbatterie bis zur größten Standuhr war bei ihm alles zu haben. Nebenher bot er die Artikel an, die seine verstorbene Frau im Geschäft betreut hatte, einen Restbestand an Modeschmuck, Goldkettchen und Glaskugelhalsketten.
Der Xari stand hinter seinem Ladentisch vor einem alten, vermoderten Vorhang, der die Reparaturwerkstatt abtrennte. Er hatte eine lederne Kniebundhose an mit Lederhosenträgern und war umgeben von Uhren, die unregelmäßig und unablässig schlugen, klingelten, krähten und kuckuckten.
Ja, die Thea habe zweimal bei ihm eingekauft, seit sie in dem Haus wohnte. Das letzte Mal am Samstag vor ihrem Tod. Das wisse er genau, sagte er, weil sie kurz vor Geschäftsschluss um zwölf Uhr noch hereingeplatzt war. Sie hätten nett geplaudert, und dann sei sie mit dem Funkwecker wieder weitergezogen.
Ob ihm was Besonderes an ihr aufgefallen sei?
Der lange Xari blickte über seine unvermeidliche Lesebrille auf Campari hinunter. »Was Bsonders? Ja, was meinst damit? Ob sie rote Flecken im Gsicht ghabt hat? Oder a Loch in der Hosn? Ja, a Hosn hat’s anghabt. A so a Jeans mit Risse und Löcher, des stimmt.«
»Nein, ob sie nervös war oder verliebt gewirkt hat oder so.«
»Ja mei. Verliebt war die immer. Fragt sich nur, in wen grad.«
In Camparis Hirn wirbelte es. Die Hinweise mehrten sich. Hinweise, die andeuteten, dass Thea nicht nur mit ihm selbst eine Affäre gehabt hatte. Es war ohne Weiteres möglich, dass der Mörder aus der Reihe ihrer Verehrer kam.
Doch da war auch noch der Cousin oder Bruder, wie ihn die Stadtmüllerin bezeichnet hatte. Und der mögliche Vater des möglichen Kindes, von dem keiner was wusste. Den fremden Journalisten musste Fritzi sich vornehmen.
Durchs Schaufenster sah er die Fritzi auf dem Fahrrad nahen. Sie fuhr ein teures Mountainbike, das aussah, als könnte sie damit den Wendelstein erklimmen oder an Weltmeisterschaften teilnehmen.
»Ja, woher weißt du, dass ich grad beim Embacher Xari bin?«, fragte er sie, als die Ladenklingel verklungen war.
»Antennen«, sagte sie. »Als Frau hab ich Antennen. Die sind mir auch beim Boxen nicht abhandengekommen.«
»Pass auf«, sagte er zu Fritzi. »Der Herr Embacher vermutet …«, er pausierte kurz, dann entschloss er sich, zu schweigen.
Sie ließen einen ratlos den Kopf schüttelnden Uhrmachermeister zurück.
Auf der Straße gab Campari Embachers Bemerkung wieder: »›Verliebt war die doch immer. Fragt sich nur, in wen grad.‹ Du müsstest das doch am besten wissen, Fritzi. Sie war schließlich deine Freundin. Du mit deinen Antennen.«
Fritzi schob ihr teures Radl und sah ihn nachdenklich an. »Gemerkt hab ich davon nichts«, sagte sie langsam. »Sie ist halt ihrem Beruf nachgegangen. Aber wenn ich so drüber nachdenk …«
* * *
In den Tagen nach der Tat rückte man im Herzlichsten Dorf zunächst zusammen und pflegte die Freundlichkeit, das Grüßen, die guten Manieren noch mehr als vor dem schrecklichen Ereignis. Frauen wurde in ihre Lodenjacken geholfen, den Alten wurde im Kirchwieser Löchl ein Platz angeboten und der Stuhl hingerückt, und es wurden wieder die Hände zum Gruß geschüttelt.
Solch scheinbar überholte Umgangsformen waren im Umland der Emanzipation oder der Selbstverwirklichung zum Opfer gefallen. Man hatte sich lieber lässig und cool gegeben. Zuvorkommenheit wurde als scheinheilig oder schwächlich angesehen, frei nach dem Motto: »Höflichkeit ist eine
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