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Kirschholz und alte Gefühle: Roman (German Edition)

Kirschholz und alte Gefühle: Roman (German Edition)

Titel: Kirschholz und alte Gefühle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marica Bodrožić
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hatte mich studiert, mich angesehen, mich dann später zu Hause, in seiner Dunkelkammer, genau inspiziert und war irgendwann ganz ruhig an meinen Tisch getreten, hatte mich angesprochen, wie einen Menschen, den er schon lange kannte. Diese Gelassenheit hatte mich für ihn eingenommen. Jetzt aber wurde mir schlagartig klar, woher diese Selbstverständlichkeit kam, die mich in seine Arme, zu seinen Händen trieb. Dann entdeckte ich ein zweites Album. Und als ich es aufmachte, sah ich Nadeshda, mit Menschen, die ich nicht kannte. Auf allen Fotos lächelte Nadeshda, trug schöne kuschelige Wollmützen und Baskenmützen in saftigem Rot, Grün und Blau. Die meisten Bilder zeigen sie im Café Procope, wo sie mit mir fast nie hingegangen ist. In diesem Caféhaus waren Voltaire und Rousseau schon Stammgäste. Einmal hatte sie es mir zeigen wollen und als wir dort eine köstliche Eiscreme aßen, behauptete sie, die Französische Revolution habe in diesem Café ihren Anfang genommen.
    Ein Gefühl tiefer Dankbarkeit kam in mir auf, ich war erleichtert, dass sie mir alles über sich und Arik erzählt hatte. Ich war durch ihre Ehrlichkeit in jenem Moment vor seinem pedantischen Archiv geschützt. Er hatte sie also genau wie mich in Augenschein genommen. Studiert. In der Dunkelkammer. Archiviert. In seinen Alben. Da wir uns nicht so gut kannten und uns über unsere Liebesgeschichten eher ausschwiegen, erfuhren Nadeshda und ich anfangs nie, dass wir manchmal an ein und demselben Tag den gleichen Mann trafen. Weder sie noch ich wusste etwas von Ariks Vorgehensweise, es stimmte, was Signora Souza gesagt hatte, all das war jenseits meiner Vorstellungskraft gewesen. Beide konnten wir Arik nicht widerstehen, der einerseits etwas Dunkles, andererseits gerade deshalb etwas verlockend Anziehendes für uns hatte. Wir ahnten nicht, was mit uns geschah. Nadeshda traf sich fast täglich mit ihm. Wir rechneten später alles genau nach. Ihre Geschichte mit Arik vertiefte sich genau in der Zeit, in der er aufhörte, meine Anrufe entgegenzunehmen oder nur mit dem Verweis, er habe keine Zeit, das Gespräch schnell abblockte. Das war in den Tagen, in denen ich ständig darüber grübelte, wie ich ihn mit dem Vorfall auf der Brücke konfrontieren konnte. Als ich schließlich Nadeshda ins Atelier mitnahm, um ihm zu zeigen, dass ich noch andere Menschen in meinem Leben hatte, malte er uns, ohne sich etwas anmerken zu lassen.
    Nadeshda sagte, sie sei nach dem Besuch in der rue Fagon gelähmt gewesen, habe nicht gewusst, was sie mir sagen sollte, aus Angst, dass alles auf sie zurückfallen würde. Das Naheliegende, die Wahrheit, schien mir damals nicht zumutbar. Aber vielleicht, so dachte sie später, als wir in Berlin über alles reden konnten, wäre das Unzumutbare genau das Richtige gewesen. Das einzige, was Nadeshda nach der Sitzung tat, war, ihre Bluse zu verbrennen. Sie entschied sich, Arik nicht mehr zu treffen. Aber dann habe er sie wieder im Café abgefangen, sie sei zu schwach gewesen, alles habe begonnen, sich in Endlosschleifen zu wiederholen, bis sie irgendwann nach Berlin zog, weil sie nicht mehr weiterwusste. Sie habe sich ihm anders nicht entziehen können.
    Ich fühlte, dass Nadeshda die Wahrheit sagte, ich wusste ja, wie schwer es war, mit Arik zu brechen und sich ganz von ihm abzustoßen. Es war mir selbst nicht gelungen, immer wieder hatte ich mich jenem eigenartigen Sog ergeben, der von ihm ausging. Ich erlag der Sehnsucht wie andere einer Wunde erliegen. Der alte Magnet, dachte ich, hatte uns beide in seine Falle geführt. Wir fragten uns, woraus er in seinem Wesen bestand. Anfangs wussten wir es nicht, aber wir ahnten, dass der Magnet kein böses Instrument in uns war, sondern eine alte Angst, die wir ablegen mussten, um unsere Selbsttäuschung zu überwinden. Arik gehörte irgendwann und solange dazu, bis wir verstanden, dass er sich niemals ändern würde, dass er immer so bleiben würde, wie er von Anfang an war: ein Mann, der sich hinter seinem Fotoapparat und hinter seinem Malerpinsel versteckte.
    Als Nadeshda in die Wohnung an der Place Dauphine mit Kuchen und Kaffee kam, reichte ich ihr erst das Album mit meinem Namen, dann das mit ihrem. Sie sah mich ratlos und fragend an, schlug das Album auf, sah hinein, sagte nichts, blätterte darin, sah alles, was ich schon gesehen hatte. Wir schwiegen. Sahen uns an. Und jetzt sollen wir ihn auch noch gemeinsam zu Grabe tragen, sagte Nadeshda schließlich. Signora Souza war zornig auf

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