Kirschholz und alte Gefühle: Roman (German Edition)
Haus auf dem Boden liegen sah. Das Kaufhaus war aber schon lange nicht mehr im Betrieb. Ein Luxushotel, hatte ich in der Zeitung gelesen, sollte an dieser Stelle entstehen. In den gleichen Räumen würden schon bald wohlhabende Reisende aus aller Welt schlafen und ihre Träume in die neuen Zimmer bringen, Räume, in denen einst Tausende von Kindern ihre ersten Schulhefte, Stofftapeten, Kommunions- und später Hochzeitskleider gekauft hatten. Die Welt, oder das, was ich für sie hielt, war, wohin immer ich schaute, eine einzige große Überschreibung, der Grund der Dinge, die unterste Schicht, entzog sich mir immer, vor allem dann, wenn ich glaubte, sie endlich einmal fassen zu können.
Ich wusste nicht, wo ich mit dem Ausräumen anfangen sollte und setzte mich im Wohnraum auf das große Sofa, wo ich, ohne es zu wollen, sofort vor Erschöpfung in den Schlaf fiel. So fing es an, der Ruf meiner Müdigkeit und das Ausruhen an den Nachmittagen. Als ich wach wurde, fühlte ich eine Beklemmung in mir aufsteigen und hatte einen trockenen Hals, brennender Durst trieb mich in Ariks Küche. Die alte Herduhr tickte so laut, als wollte sie Ariks Körper zurückrufen, und ich erinnerte mich, wie ich zu ihm ging, um Abschied zu nehmen und ihn mit einer Schnapsflasche in der Hand vor dem Herd sitzen sah, in sich versunken, in Unterhosen, so abwesend wie ein anwesender Mensch nur sein kann. Mein Durst wurde dringlicher. Es stand noch eine ganze Kiste Wasser in der Vorratskammer. Arik musste sie vor kurzem noch selbst besorgt haben. Ich fand es unheimlich, das von einem Toten gekaufte Wasser zu trinken, aber ich tat es, der Durst und der stickige Geruch in der Wohnung waren unerträglich geworden und zwangen mich dazu. Es roch noch immer nach gekochten Quitten, nach dem Gelee, das Signora Souza manchmal für Arik und zuvor für seinen Onkel Clément auf dem Land gemacht hatte.
Ich ging hinaus und traf mich in Sophies Restaurant mit Nadeshda. Sophie spendierte mir einen frischen Orangensaft. Sie freute sich, uns wiederzusehen. Wir bestellten uns etwas zu essen, aber nicht einen Bissen konnte ich hinunterwürgen. Parfümella erschien und grüßte uns wie alte Bekannte. Wir nickten ihr höflich zu und konnten es kaum glauben, dass sie noch immer das gleiche, unerträgliche Parfüm trug und ihr dunkelblaues Tuch auf dieselbe Weise um den Hals zu einem Dreieck band. Nadeshda sagte verschmitzt, die einen ändern sich jeden Tag, die anderen bleiben einfach immer die Alten.
Wir lächelten uns an, ich spürte, dass wir beide an unsere Hiromi dachten, an ihre Petitionen, ihre Stoffe, ihren Fleiß. Genau wie wir gehörte auch sie nicht den Leuten an, die jahrelang ihre Tücher auf die gleiche Weise trugen.
Ich glaube, wir dachten beide daran, in unsere alte Straße zu gehen, zu der Wohnung, in der wir mit Hiromi gelebt hatten. Aber wir taten es nicht, wären auch ohne Code nicht einmal in den Hof gekommen. Ich dachte an unsere letzten gemeinsamen Tage in der Wohnung, und ich fragte mich, was aus unseren Fahrrädern geworden war, die wir im Flur zurückgelassen hatten, in der Hoffnung, unseren Nachmietern eine Freude damit zu machen. Die letzten beiden Nächte verbrachten wir bei Mischa und Dora. Gemeinsam mit ihnen brachte ich Hiromi zum Flughafen. Ich habe sie seither nicht mehr wiedergesehen. Der Abschied hatte eine Endgültigkeit, die wir uns damals nicht eingestehen wollten. Wir waren zu jung, wir wussten nichts von der Macht solcher Setzungen.
Von der Gare de Lyon nahm ich den Zug nach Berlin. Nur dreizehn Stunden später schloss ich Nadeshda am Zoologischen Garten in die Arme. Sie kümmerte sich kein bisschen um meine Müdigkeit und fuhr mit mir sofort zum Kurfürstendamm, um mir wenigstens das Theater zu zeigen, für das ich nun arbeiten sollte. Mein alter Holztisch hatte ein eigenes Zimmer in ihrer Wohnung bekommen und wartete dort wie ein treuer Verwandter auf mich. Erst als Nadeshda mir das Bett bezog, sah ich, dass sie schwanger war. Ihr Ilja hatte sich nicht für ein gemeinsames Leben mit ihr entscheiden können. Als ich nach ihm fragte, sagte sie nur zwei Wörter: Bakersfield, Kalifornien. Wie sehr sie ihn aber liebte, spürte ich an allem. Ich war glücklich, wieder bei ihr sein zu können. Es verwirrte mich, dass sie das Kind behalten wollte. Und als ich in dieser Richtung etwas andeutete, sah sie mich gekränkt an. Ich bereute es sofort, fühlte, dass ich sie verletzt und eine Grenze überschritten hatte. Nicht jeder konnte
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