Kismet Knight – Vampire lieben länger / Roman
Bank sind wahrscheinlich noch nicht bereit, Dolly kennenzulernen.«
Er kicherte. »Klar! Meine Sachen liegen hinten im Waschraum.« Dann drückte er eine Hand auf seinen voluminösen Busen, fächelte sich mit der anderen Luft zu und verkündete mit einem sehr hohen Südstaatenakzent: »Ach du liebes bisschen, ich hoffe, es ist noch alles da!«
Ich brachte ihn zur Tür und verabschiedete mich von ihm. »Bis nächste Woche!«, sagte ich und beobachtete, wie er auf seinen Stilettos in Größe 44 den Flur hinunterschwankte.
Die zweihundert Pfund schwere Dolly Parton mit Schnurr- und Kinnbart bildete eindeutig den Höhepunkt meines bisherigen Tages. Aber noch war die Sonne nicht untergegangen, also galt es, abzuwarten, was der Vampirteil des Programms für mich in petto hatte.
Eindrucksvolle Harfenklänge ertönten aus den verborgenen Lautsprechern in dem eleganten Aufzug, als ich nach unten in die Eingangshalle fuhr. Nachdem ich Kenneths Akte auf den neuesten Stand gebracht hatte, war ich rastlos in meiner Praxis umhergelaufen, außerstande, mich hinzusetzen, weil mir Victoria nicht aus dem Kopf gehen wollte. Es sah ihr gar nicht ähnlich, ihren Posten in der Eingangshalle verwaisen zu lassen. Zugegeben, ich kannte sie erst, seit ich in Devereux’ Gebäude eingezogen war, und in meinem Beruf war ich es gewohnt, stets neue Seiten an den Persönlichkeiten anderer zu entdecken, aber ich war mir ziemlich sicher, dass mich mein Gefühl bezüglich Victoria nicht täuschte. Und selbst wenn ich meiner Intuition nicht traute, so waren Victorias Pflichtbewusstsein und ihre Verlässlichkeit laut Vampirklatsch legendär. Und sie hatte mir selbst gesagt, dass sie ihren Freunden gegenüber sehr loyal wäre. Da ich wusste, dass sie Devereux zu ihnen zählte, hätte sie folglich nie einfach so ihren Posten verlassen.
Es musste also etwas Furchtbares passiert sein. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie in Gefahr schwebte.
Victorias riesiger handgeschnitzter Schreibtisch stand einsam und verlassen inmitten eines Meers italienischen Marmors. Weil die meisten Mieter des Bürohauses an die Nacht gebunden waren, fand man die Eingangshalle tagsüber oft ziemlich leer vor, aber Victorias Abwesenheit machte sie beklemmend einsam. Ihr Arbeitsplatz stellte quasi das Nervenzentrum dieses Reiches dar. Devereux baute darauf, dass die kluge Hexe sein mysteriöses Universum am Laufen hielt, solange er nicht verfügbar war. Er hatte einmal erwähnt, Victoria sei ein noch schlimmerer Workaholic als er, was ein zusätzlicher Vorteil war. Sie blühte richtig auf, wenn sie mehrere Projekte gleichzeitig jonglieren musste, und war sogar einmal zur Arbeit erschienen, als sie nach einem missglückten Zauber von Kopf bis Fuß mit Fell bedeckt gewesen war.
Mit klackernden Absätzen schritt ich über den polierten Boden auf ihren leeren Schreibtisch zu. Ich blieb kurz stehen und blickte durch die großen Glaswände zu beiden Seiten der Lobby. Sanftes Licht wurde von den entfernten Berggipfeln reflektiert, hinter denen die Sonne tiefer sank. Auf einmal überkam mich eine Hitzewelle, und alles wurde langsamer. Victoria hatte mir dieses Phänomen, das sie »hinter den Schleier gehen« nannte, früher einmal beschrieben. Auf diese Weise betrat man eine Zeit außerhalb der Zeit. Wie sie mir erzählt hatte, schuf ihr Zirkel häufig geweihte Orte, an denen sie Zauber wirkten und wo das Ritual unmissverständliche, sinnliche Spuren hinterließ. Nun verstand ich, wovon sie gesprochen hatte. Kein einziger Wagen fuhr durch mein Blickfeld, als ich auf die belebte Straße hinaussah. Während ich mich in dieser merkwürdigen Stille sammelte, begann mein Herz, zu rasen.
Angst.
Die Luft in der Eingangshalle schien erfüllt von Angst.
Hatte Victoria ein Energieecho hiergelassen, damit ich es fand?
Ich ging um den Schreibtisch herum und sah mir die Papiere an, die auf der sonst so ordentlichen Oberfläche verteilt waren. Victorias Lieblingsbecher – mit der Aufschrift »Mein Zweitwagen ist ein Besen« – stand halb voll auf einer Serviette; daneben lag ein angebissener Muffin, und alle Schubladen waren unterschiedlich weit aufgezogen. Offenbar hatte jemand etwas gesucht. Mir fiel wieder ein, dass Maxie gesagt hatte, sie hätte Victorias Schreibtisch nach einer Generalschlüsselkarte durchsucht. Hatte sie dieses Durcheinander angerichtet? War sie so gedankenlos? Diese unschöne Möglichkeit lastete mir schwer auf der Brust. Ich mochte Maxie wirklich, aber war
Weitere Kostenlose Bücher