Kismet Knight – Vampire lieben länger / Roman
einer Reporterin zu trauen?
Ohne zu überlegen, setzte ich mich auf Victorias Stuhl und sank sofort in ihre Energie ein. Sie umfing mich wie warmes Wasser. Mit geschlossenen Augen tauchte ich in die starken Schwingungen ein. Lichtblitzartige Bilder huschten mir wie Fragmente eines LSD -Trips durch den Kopf. Keines der Bilder ergab einen Sinn, doch obgleich ich mich nicht auf den Inhalt konzentrieren konnte, war ich sicher, dass es in den Szenen um Victoria ging. Alles war chaotisch, surreal, finsterst okkult. Ich hatte keine Ahnung, ob es sich um Erinnerungen oder Informationen über ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort handelte. Auf jeden Fall fühlte es sich unheimlich an.
Wir mussten Victoria finden!
Maxie hatte recht, was meine Neigung betraf, mit offenen Augen abzudriften, denn bis ich blinzelnd wieder aufsah, war die Sonne vollständig hinter den Bergen verschwunden, und das orangerosafarbene Licht hatte sich in ein tiefes rötliches Violett verwandelt.
Der Einbruch der Nacht bedeutete, dass ich mich für meinen ersten blutdurstigen Klienten bereitmachen sollte. Weil diese Klienten sich direkt in meine Praxis teleportierten, achtete ich darauf, vor ihnen dort zu sein und sie zu begrüßen. Ich schüttelte den Kopf, um die wirren Bildfetzen zu verdrängen, und schob den Stuhl zurück. Als ich mich an der Schreibtischkante aufstützte, bemerkte ich ein langes Haar auf den weißen Papieren.
Ich hob es hoch und ließ es vor meinem Gesicht baumeln. »Verdammt! Ich könnte mir einen Pulli aus den ganzen Haaren stricken, die ich an einem einzigen Tag verliere!« Dann sah ich genauer hin. Mein Haar war lang. Die Locken reichten mir halb über den Rücken. Dieses hatte eine ähnliche Farbe wie meines, war jedoch viel länger. Und glatt. Ich hielt es an beiden Enden. Wenn es weder meines noch Victorias – ihre Mähne war golden – noch Maxies schneeweißes war, von wem stammte es dann?
Eine Erinnerung an Hallow in meinem Traum, wie er an einer weißen Säule lehnte, schwebte durch meine Gedanken. Sein Haar hatte im Wind geweht. Sein sehr langes, dunkles Haar.
Nein! Ich erstarrte. Der mordende Psychopath wäre nie in das Gebäude gelangt. Hatte Devereux nicht gesagt, es wäre magisch geschützt? Ich durfte gar nicht daran denken, dass Hallow mit Victorias Verschwinden zu tun haben konnte, denn die Vorstellung war einfach zu schrecklich.
Ich sah zu dem beständig finsterer werdenden Himmel, wickelte mir das lange Haar um den Finger und eilte zum Fahrstuhl. Nachdem ich den Knopf für mein Stockwerk gedrückt hatte, schloss ich die Augen und versuchte, zu erahnen, ob Devereux schon aufgestanden war. Zum Teufel mit ihm, dass er mir nicht verriet, wo er tagsüber steckte! Er wusste, dass ich heute Abend Klienten hatte, also würde er erst hinterher zu mir kommen. Wie sollte ich ihm da von Victoria erzählen?
»Was ist mit Victoria?«
Vor Erleichterung über Devereux’ samtige Stimme in meinem Kopf sackte ich halb ein und warf mich ihm beinahe in die Arme, als er im Fahrstuhl erschien. Wie üblich trug er dunkles Leder und ein hellgrünes Hemd. Ich schlang die Arme um seine Taille und lehnte meine Wange an seine Brust, wo ich seinen würzigen Duft einatmete. Devereux hielt mich fest. Es fühlte sich wunderbar an, ihn zu berühren. Mir war nicht bewusst gewesen, welche Angst ich um Victoria hatte und wie bitter nötig ich liebevollen Körperkontakt hatte. »Sie ist weg. Es ist etwas Entsetzliches passiert. Das kann ich fühlen.«
Gleich auf die Minipanikattacke folgte die Erinnerung daran, was ich gefunden hatte, also ließ ich Devereux los und trat einen Schritt zurück. Ich wickelte das Haar von meinem Finger und zeigte es ihm. »Hier! Das lag auf ihrem Schreibtisch. Ihre Teetasse war noch halb voll und ihr Muffin nur angebissen. Außerdem war alles durcheinander. Jemand hat ihre Papiere durchwühlt.«
Mit ernster Miene nahm er das Haar von meiner Hand und musterte es schweigend. Dann rieb er es zwischen seinem Daumen und Zeigefinger. »Es enthält keine Lebensenergie. Dieses Haar stammt von keinem Sterblichen.«
»Es ist Hallows, ganz sicher!«
Er blickte mich prüfend an. Starke negative Gefühle strahlten von ihm ab, und er sprach langsam, mit tiefer Stimme: »Und wie kommt es, dass du dir sicher bist?«
Ich brauchte keine hellseherischen Fähigkeiten, um zu merken, dass er Mühe hatte, seinen Zorn zu kontrollieren. Tatsächlich überlegte ich, lieber noch einen Schritt zurückzuweichen, entschied mich
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