Kismet Knight
wieder uninteressant geworden – wenigstens vorübergehend.
Sogar etwas so Normales und Vertrautes wie das Autofahrenschien jetzt schon zusätzliche Vorsicht zu erfordern. Einmal fing ich meinen eigenen Blick im Rückspiegel auf und erwartete halb, einen schockierten Ausdruck in meinen Augen zu sehen, und ich war fast überrascht, dass sie so normal wirkten. Als ob nichts sich verändert hätte. Als lebte ich immer noch in einer Welt, in der es so etwas wie Vampire nicht gab.
Mit dem Gedanken, nicht mehr ganz zurechnungsfähig zu sein, fühlte ich mich wohler.
Midnight und Ronald tauchten pünktlich zum verabredeten Zeitpunkt auf, und die nächsten zwei Stunden verbrachten wir damit, über den Kummer und die Wut zu sprechen, die sie angesichts von Emeralds Tod empfanden. Sie schienen beide mehrere Nächte lang nicht geschlafen zu haben, und in ihrer Verlorenheit und Ratlosigkeit taten sie mir entsetzlich leid.
Sie stellten außerdem eine Menge Fragen über das, was mir zugestoßen war – die Entführung und mein Aufwachen auf dem Friedhof –, und ich hielt die Antworten möglichst kurz. Ich ließ sie in dem Glauben, dass ein ernstlich verstörter Patient jede Kontrolle verloren und mich gegen meinen Willen dort festgehalten hatte. Das war viel einfacher, als anzusprechen, was wirklich passiert war, und ich wollte den beiden nicht noch mehr Grund zur Besorgnis geben – auch was ihren eigenen Umgang betraf.
Midnight erzählte mir, dass sie vorübergehend zu ihren Eltern zurückgekehrt war, weil sie den Anblick von Emeralds leerem Zimmer in der Wohnung, die sie sich mit ihr geteilt hatte, einfach nicht ertrug. Ronald bewies sehr viel Mitgefühl und innere Stärke, so wie er es auch zuvor schon getan hatte. Er saßneben Midnight, hatte einen Arm um sie gelegt und war ihr in den vergangenen Tagen offenbar kaum von der Seite gewichen.
Tatsächlich küssten sie sich einmal sogar auf die Lippen, und ich hatte den Eindruck, dass der Kuss eher romantisch als freundschaftlich gemeint war. Ganz offensichtlich hatte Ronald mehr zu bieten, als auf den ersten Blick zu erkennen war. Vielleicht hatte Midnight seine Reaktionen auf ihre Beziehung zu Bryce ja gründlich missverstanden – vielleicht war es gar nicht Bryce gewesen, für den Ronald sich interessiert hatte.
Die beiden zu beobachten erfüllte mich mit einer gewissen Hoffnung.
Ich brachte sie bis an die Tür meines Wartezimmers; ich war müde, hatte aber auch das Gefühl, etwas bewirkt zu haben. Dann kehrte ich ins Sprechzimmer zurück, setzte mich an den Schreibtisch und legte den Kopf auf meinen Armen ab. Ich muss eingeschlafen sein, denn irgendwann veranlasste mich ein Geräusch, abrupt hochzufahren, und draußen war es dunkel geworden.
Das Geräusch war das Räuspern der Person gewesen, die in der Sprechzimmertür stand.
Ich hatte außer meiner kleinen Schreibtischlampe kein Licht angemacht, und so war es im Zimmer jetzt fast dunkel. Und wie ich es mir leichtsinnigerweise angewöhnt hatte, war die äußere Tür unverschlossen geblieben – schließlich hatte ich gedacht, ich würde sowieso gleich gehen. Der Himmel wusste, wie lange ich hier gesessen und geschlafen hatte.
Ich hatte wirklich irgendein karmisches Ding mit Türen laufen.
Der Mann, der in der Verbindungstür stand, war sehr groß, dabei aber etwas gebeugt, und er zog seine Schultern nach vorn. Die Deckenlampe im Wartezimmer lieferte genug Licht, ummir mitzuteilen, dass der Besucher schulterlanges dunkles Haar und eine Stirnglatze hatte. Er trug einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und schmaler schwarzer Krawatte. Seine Hände hielt er auf Brusthöhe und drehte sie ständig umeinander, als knetete er pausenlos einen Klumpen Teig.
Er schob sich vorsichtig ein Stück weiter nach vorn, als widerstrebte es ihm, weiter in das Zimmer zu kommen.
»Sind Sie die Vampirtherapeutin?«
Kapitel 19
Ich stand vom Schreibtisch auf, schaltete eine zweite Lampe ein und ging langsam auf ihn zu, wobei ich mir immer noch Mühe geben musste, seine Gesichtszüge im Schatten zu erkennen. Mein Solarplexus begann, ganz leicht zu prickeln. Ich legte mir eine Hand auf den Bauch und versuchte zu entscheiden, ob das vertraute Signal einfach eine Information oder eine Warnung darstellte.
Ich hielt ein bis zwei Schritte Abstand zwischen uns. »Ich bin Kismet Knight und Psychologin.«
»Ja. Dann sind Sie diejenige. Können Sie mir helfen?«
»Das weiß ich noch nicht.«
Mein persönliches Warnsystem lieferte
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