Kismet Knight
Reaktion des Moderators ausblieb. Höchst merkwürdig. Ich hatte noch nie gehört, dass er irgendjemandem gegenüber höflich gewesen wäre. Sein Verhalten lieferte mir den klarsten Hinweis darauf, dass das Ende der Welt bevorstand, den ich mir hätte wünschen können. Vielleicht war es auch schon im Gang.
Ich dachte an die Kartenlesung, die Cerridwyn mir geschenkt hatte, und das merkwürdige Zeug, das seither passiert war. Ich selbst war nicht mehr die Person, die auf die Frage, was wirklich war und was nicht, überzeugte Antworten gegeben hätte. Vielleicht sollte ich hingehen und eine zweite Lesung machen lassen.
Wow! Hatte ich gerade erwogen, in voller Absicht zu einer Spiritistin zu gehen?
Im Fernsehen spielten sie einen Werbeblock ein, und eine Gruppe kostümierter Kinder verlangte kreischend Süßigkeiten. Dann erschien die Abbildung irgendwelcher Halloweenbonbons auf dem Bildschirm.
Halloween? War es schon wieder so weit? Ich wusste nicht einmal genau, welches Datum heute war, obwohl ich mir vage bewusst gewesen war, dass wir Oktober hatten. Doch, richtig – heute war bereits der Dreißigste, und somit war morgen Halloween.
Als Kind hatte ich Halloween geliebt. Und es hatte nicht gerade eine Psychologin gebraucht, um zu erkennen, welche Metapher ich verkörperte, wenn ich mich Jahr für Jahr als Prinzessinverkleidete. Zum Teufel mit diesen ganzen Disney-Märchenfilmen!
Später hatte ich mich dann mit Samhain beschäftigt, dem alten heidnischen Feiertag, der unserer modernen konsumorientierten Version zugrunde lag. Mit Samhain ehrte man die Jahreszeit, in der der Schleier zwischen den Welten am dünnsten war und das Paranormale umging.
Unglückseligerweise war unsere Zivilisation der wahren Magie gegenüber sehr misstrauisch geworden und hatte den Feiertag unter Furcht, Aberglauben und Unsinn begraben. Ich hatte einmal an einem wiccanischen Ritual teilgenommen und noch eine Woche später die Gedanken der Menschen um mich her hören und verstehen können. Machtvolles Zeug.
Vor einer Weile hatte ich in einer Zeitung etwas über eine große Feier oder Party an Halloween gelesen – offenbar eine jährliche Veranstaltung. Nicht, dass ich vorgehabt hätte hinzugehen. Mein Leben war schon hinreichend aus dem Gleis geraten, auch ohne dass ich noch mehr okkulten Irrsinn hineinbrachte.
Ein plötzlicher stechender Schmerz schoss mir quer über die Stirn, und mein Sonnengeflecht verkrampfte sich.
Die Glühbirnen der Deckenbeleuchtung und meiner Schreibtischlampe explodierten gleichzeitig, so dass der Raum nur noch von dem geisterhaften Schimmer des großen Fernsehbildschirms erleuchtet war.
»Hure! Schlampe!«
Die kreischende Stimme in meinem Rücken erschreckte mich so fürchterlich, dass ich aus dem Sessel aufsprang und auf dem Sofatisch landete, wobei ich mein Weinglas umwarf.
Auf mich zu, auf den Tisch zu, auf dem ich kauerte, schlich ein halb verhungert aussehender Mann.
Die eingefallenen Wangen des bleichen totenschädelartigen Gesichts wirkten blau in dem matten Licht, und der bodenlange schwarze Mantel hing formlos an der großen drahtigen Gestalt.
Sein Kopf glich einem leuchtend weißen Ei, haarlos und überzogen mit einem Netz von Adern.
Seine kohlschwarzen Augen waren von rot angeschwollenem Gewebe umgeben; etwas Dickes, Widerliches rann ihm aus den Augenwinkeln.
Er sah aus wie ein fehlgeschlagenes Experiment. Eine Leiche auf der Suche nach einem Grab.
Er richtete einen Finger auf mich; der überlange Fingernagel war verfärbt und schartig. Mit dem anderen Arm umklammerte er ein riesiges zerschrammtes schwarzes Buch.
Er fauchte und ließ dabei gelb und braun verfärbte Zähne sehen. Und Reißzähne. Ich erinnerte mich von den Anrufen her an den schleppenden Südstaatenton.
Ist das Brother Luther? Er ist ein Vampir?!
Ich konnte nicht fassen, wie vollkommen die Wahrheit an mir vorbeigegangen war.
Er kreischte: »Verworfene Jezebel! Du wirst in ewiger Verdammnis brennen! Verkehrst mit den Gefolgsleuten Satans!«
Sein Atem roch fürchterlich, wie ein Abfluss. Er lieferte einen Übelkeit erregenden Kontrast zu dem muffigen Gestank, der seiner Kleidung entströmte.
Ich sah mich in meiner unmittelbaren Umgebung um und erwog meine Möglichkeiten sowie die Entfernung zum nächsten Telefon; dann sprang ich vom Tisch, wobei ich so weit von ihm entfernt aufzukommen versuchte wie möglich.
Ich würde den Teufel tun und irgendeine Art von Blickkontakt zulassen! Also konzentrierte ich mich auf
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