Kissed by an Angel
Mond, schön, aber bleich. Ihre blonden Wimpern leuchteten und ihre langen Haare umkränzten ihr Gesicht wie Strahlen.
Ivy runzelte die Stirn. Er hätte gern ihre Sorgenfalten weggestreichelt, aber er konnte nicht. Plötzlich warf sie sich hin und her.
»Wer ist da?«, fragte sie. »Wer ist da?
Er beugte sich über sie. »Ich bin’s, Tristan.«
»Wer ist da?«, fragte sie wieder.
»Tristan!«
Die Falte auf ihrer Stirn wurde tiefer. »Ich kann nichts sehen.«
Er versuchte, ihr die Hand auf die Schulter zu legen, und wünschte sich, sie würde aufwachen, denn dann würde sie ihn bestimmt sehen und hören. »Ivy, sieh mich an. Ich bin hier!«
Für einen Augenblick öffnete sie die Augen und blinzelte, dann veränderte sich ihr Gesichtausdruck: Furcht überkam sie. Sie fing an zu schreien.
»Ivy!«
Sie hörte nicht auf zu schreien.
Er versuchte, sie festzuhalten, und schlang die Arme um sie, aber sein Körper schlüpfte durch ihren hindurch. Er konnte sie nicht trösten.
Die Zimmertür flog auf und Philip stürmte herein, Gregory folgte ihm auf den Fersen.
»Wach auf, Ivy, wach auf!« Philip schüttelte sie. »Komm |schon Ivy, bitte.«
Nun waren ihre Augen weit aufgerissen. Sie sah zu Philip, dann wanderte ihr Blick durchs Zimmer. Doch sie nahm nicht wahr, dass Tristan neben ihr stand, sondern schaute durch ihn hindurch.
Gregory legte Philip vorsichtig eine Hand auf die Schulter und schob ihn sachte zur Seite. Dann setzte er sich aufs Bett und zog Ivy an sich. Tristan sah, dass sie zögerte.
»Alles wird gut«, beruhigte Gregory sie und strich ihr das Haar zurück. »Es war nur ein Traum.«
Ein schrecklicher Traum, dachte Tristan bitter. Und er konnte Ivy nicht helfen, konnte sie nicht trösten.
Gregory schon. Tristan spürte, wie Eifersucht in ihm aufstieg.
Er konnte nicht ertragen, sie in Gregorys Armen zu sehen.
Gleichzeitig konnte er nicht ertragen, dass Ivy so verängstigt und durcheinander war. Auf einmal durchflutete ihn auch eine Art Dankbarkeit für Gregory und sie war für einen Moment genauso stark wie seine Eifersucht.
Doch dann siegte wieder die Eifersucht. Tristan fühlte, wie die widerstreitenden Gefühle ihn schwächten. Schließlich kehrte er den dreien den Rücken zu und ging zu den Engeln, die in Ivys Regal standen. Ella folgte ihm vorsichtig.
»Ging es in deinem Traum um den Unfall?«, fragte Philip.
Ivy nickte, dann ließ sie den Kopf sinken und strich immer wieder über die zerknitterten Laken.
»Willst du darüber reden?«, fragte Gregory.
Ivy versuchte zu sprechen, dann aber schüttelte sie den Kopf und machte eine abwehrende Handbewegung. Tristan bemerkte die gezackten Narben auf ihrem Arm, die wie die Spuren von Blitzeinschlägen aussahen. Für einen Moment spürte er, wie sich die Dunkelheit wieder anschlich, aber er drängte sie zurück.
»Ich bin hier, alles ist gut«, sagte Gregory und wartete geduldig.
»Ich ... ich hab auf ein Fenster gestarrt«, fing sie an. »Ich sah einen Schatten, aber ich war mir nicht sicher, wer oder was es war. Ich habe >Wer ist da?< gerufen.«
Tristan beobachtete sie durch den Raum hinweg, ihr Schmerz und ihre Angst bedrückten ihn.
»Ich dachte, vielleicht ist es jemand, den ich kenne«, redete sie weiter. »Der Schatten sah irgendwie vertraut aus. Also ging ich immer näher heran. Aber ich konnte nichts erkennen.« Sie hielt inne und sah sich im Zimmer um.
»Du konntest also nichts erkennen«, half ihr Gregory weiter.
»Auf der Scheibe waren noch andere Bilder, Spiegelbilder, die mich verwirrten. Ich ging näher ran. Mein Gesicht berührte fast die Scheibe. Plötzlich zerbarst sie!
Und der Schatten verwandelte sich in einen Hirsch. Er krachte durch die Scheibe und rannte davon.«
Sie redete nicht weiter. Gregory umfasste ihr Kinn, hob ihr Gesicht und sah ihr tief in die Augen.
Tristan rief nach ihr. »Ivy! Ivy, sieh mich an«, bat er.
Doch sie erwiderte Gregorys Blick, ihr Mund zitterte.
»Endet der Traum damit?«, fragte Gregory.
Sie nickte.
Gregory fuhr ihr sanft mit dem Handrücken über die Wange.
Tristan wollte, dass jemand sie tröstete, aber -
»An mehr kannst du dich nicht erinnern?«, fragte Gregory.
Ivy schüttelte den Kopf.
»Mach die Augen auf, Ivy! Sieh mich an!«, rief Tristan ihr zu.
Dann bemerkte er Philip, der die Engelsammlung anstarrte - vielleicht auch ihn; er war sich nicht sicher. Tristan legte die Hand um den Wasserengel. Wenn er doch einen Weg fände, ihn Ivy zu geben! Wenn er ihr irgendein
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