Kissed by Darkness
davon, sobald das Licht auf sie fiel. Es kitzelte mir in der Nase, doch ich unterdrückte das Niesen. Jemand könnte es hören.
Die Treppe schien sich Ewigkeiten in die Tiefe zu winden und schließlich bebten mir bei jedem Schritt die Beine. Als wir endlich unten angekommen waren, verzweigte sich der Gang in mehrere Tunnel. Über jeden Eingang war ein Symbol geritzt und Artemisa führte uns in den Korridor unter dem Zeichen der Mondsichel. Mein Licht huschte voran, um uns zu leuchten.
Die bereits tief hängende Decke senkte sich immer weiter ab, bis wir schließlich nur noch geduckt gehen konnten. Der Gang wurde immer enger, von allen Seiten schienen die Wände auf uns zuzukommen. Wasser rann an ihnen herab und glitschiger, grüner Schlick überzog den Boden. Panik stieg in mir auf und drohte mich zu überwältigen. Aber ich unterdrückte sie und konzentrierte mich auf Artemisa und die leuchtende Kugel, die uns immer tiefer in den Berg führte.
Endlich kamen wir an eine Gabelung. Über der linken Abzweigung stand die Mondsichel. Der Tunnel weitete sich wieder, und zum ersten Mal seit einer Zeitspanne, die mir wie Stunden erschien, konnten wir uns wieder aufrichten.
»Wir können sprechen, hier ist es sicher.« Artemisa bedeutete mir, ich solle neben ihr laufen. Früher wäre das eine große Ehre für mich gewesen. In Anbetracht der jüngsten Ereignisse war es jedoch bedeutungslos geworden. Ohne einen Tempel gab es das Amt der Hohepriesterin nicht mehr.
»Wohin gehen wir?« Ich fragte mich, ob es auf der Welt überhaupt noch einen sicheren Ort für uns gab.
»Nach Osten, bis weit hinter Çatalhöyük«, sagte sie. »Dort gibt es ein wunderschönes, wildes und menschenleeres Land. Dort werden wir sicher sein. Ich habe bereits vor einer Weile Vorkehrungen getroffen und Krieger mit unseren wichtigsten Schätzen und Schriftrollen vorausgeschickt.«
Ich nickte. Sie hatte gewusst, dass dieser Tag kommen würde, genau wie ich. Die erste Pflicht der Priesterinnen der Mondgöttin war es, die Königsfamilie zu beschützen. Die zweite war es, das Wissen, das unser Volk von seinem Heimatplaneten mitgebracht hatte, zu bewahren. Die Menschen nannten es Zauberei. Mischling oder nicht, ich war die Letzte der königlichen Blutlinie. Sie würde mich mit ihrem Leben beschützen.
So weit würde es hoffentlich nicht kommen.
Wir eilten den Tunnel entlang und nach nur wenigen Minuten traten wir in die frische Nachtluft hinaus. Hinter uns erhob sich der Berg des Tempels. Der Himmel darüber leuchtete rot. »Sie verbrennen alles.« Unendliche Trauer lag in ihrer Stimme. Die letzte Festung der Atlanter war gefallen.
»Was ist mit den anderen Priesterinnen? Und mit den Akolythen?«
Sie lächelte. »Sie sind in Sicherheit. Ich habe sie bereits vorausgeschickt. Wir sind die Letzten.«
Auch wenn es mich schmerzte, den Tempel brennen zu sehen, so fühlte ich doch nicht den gleichen Verlust wie sie. Der Tempel war nicht mein Zuhause gewesen. Das hatte ich bereits vor vielen Jahren mit dem Fall von Atlantis verloren. Die wenigen Überlebenden meines Volkes versuchten, sich zu verbergen, indem sie sich anpassten. Sie wagten nicht, ihre Kräfte einzusetzen, und beteten darum, unerkannt zu bleiben. Ich war daran gewöhnt, mich zu verbergen. Seit dem Tag meiner Geburt hatte ich mich verstecken müssen. Zuerst war es mein Vater gewesen, der mich beschützt hatte; dann, nach seinem Tod, hatte der Hohepriester diese Aufgabe übernommen und mich zu Artemisa geschickt. Mir machte es nichts aus, im Verborgenen zu leben.
»Falls wir getrennt werden sollten, musst du immer weiter nach Osten gehen, bis drei Mondzyklen vergangen sind.« Artemisa führte uns einen leichten Abhang hinab in den Schutz eines Waldes. »Halte nach einer Festung Ausschau, die auf einer Insel thront, bei der sich drei Flüsse treffen. Die Einheimischen werden sie kennen.« Sie drehte sich zu mir um und sah mich eindringlich an. »Du musst es dorthin schaffen, Prinzessin. Du musst überleben. Du bist unsere letzte Hoffnung. Das weißt du.«
Ich wusste es. Jeder Nachfahr von Atlantis konnte auf einen Teil des Wissens des Amuletts zugreifen, und mithilfe eines bestimmten Rituals, das alle Atlanter kannten, war es ihnen sogar möglich, einen Teil der Macht freizusetzen – aber nur ein Nachfahr der Königsfamilie konnte auf das gesamte Wissen zugreifen und die Macht kontrollieren. Alles andere würde dazu führen, dass diese unglaubliche Macht ohne die nötige Weisheit und Gnade
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