KISSED
ein Abenteuer, ich würde endlich einmal aus dem Hotel rauskommen und etwas Lustiges erleben. Ich wäre am liebsten einer von diesen Verrückten, die an Gespenster glauben oder an das Ungeheuer von Loch Ness. Sie haben mehr Spaß als normale Leute. Einmal habe ich Wanderschuhe für einen Kerl repariert, der behauptete, nach Bigfoot zu suchen, der in Florida sein Unwesen treiben würde. Klang nach mehr Spaß als mein Sommer. Und Victoriana hat gesagt, ich könnte das Geld behalten, auch wenn ich den Prinzen nicht finde.
Aber was, wenn ich in Schwierigkeiten gerate? Ich weißnicht viel über Aloria, außer dass sie dort eine echt heiße Prinzessin haben. Was, wenn sie dort noch Folter anwenden? Mir fällt ein, dass ich mal etwas über einen Jungen gelesen habe, der ein fremdes Land besuchte und für irgendein winziges Verbrechen öffentlich mit Stockschlägen bestraft wurde. Womöglich wird man geköpft, wenn man die Prinzessin beklaut.
Mir tut der Hals schon weh, als ich nur daran denke.
»Ich werde darüber nachdenken«, sage ich und stehe auf. Ich weiß jedoch, dass ich es nicht tun werde. Ich hatte die Gelegenheit, mit der Prinzessin zu sprechen. Das muss reichen.
»Wo gehst du hin?«, fragt Mom.
»Zurück ins Hotel. Schuhe reparieren, wie immer.«
10
»Also, Ryan behauptet, du seist mit einem lippenstiftverschmierten Gesicht zurückgekommen.«
Meg wirft mir das Wort Lippenstift hin, als wäre es eine Stinkbombe, eine, von der ich weiß, dass Ryan sie mit Vergnügen hat platzen lassen. Sie ist angeekelt von mir. Sie glaubt, ich sei noch so ein Einfaltspinsel, der auf Victorianas Zauber hereingefallen ist. Vielleicht bin ich das.
»Will sie dich zu ihrem Lover machen, oder was?« Megs Stimme klingt so, wie es sich anfühlt, wenn ich mich mit einer großen Nähnadel in den Finger gestochen habe.
»Ich hab Ryan nur verschaukelt mit dem Lippenstift«, sage ich, wobei ich versuche, cooler zu wirken, als ich mir vorkomme. »Es war Marisols Lippenstift. Ich habe ihn mir extra dafür ausgeliehen.«
Eine Lüge ist bereits dreimal um die Erde gelaufen, bevor sich die Wahrheit die Schuhe anzieht. Das wird Mark Twain zugeschrieben, aber niemand ist sicher, ob er das auch wirklich gesagt hat.
Meg sieht jedenfalls aus, als sei sie froh über meine Lüge. Wir haben ein gemeinsames Interesse daran, Ryans seekuhgroßes Ego unter Kontrolle zu halten. »Also? Wird sie die Schuhe tragen?«
Ich stütze das Kinn in meine Hand, als würde ich nachdenken, aber in Wirklichkeit taste ich nach Lippenstiftresten. Ein Teil von mir will Meg alles erzählen, was mit Victoriana geschehen ist. Ich weiß, dass sie bei dem Gedanken an einen Froschprinzen lachen würde. Sie würde sagen, Victoriana hätte offensichtlich zu viele Drogen eingeworfen. Doch ich habe der Prinzessin versprochen, ihr Geheimnis zu bewahren. Außerdem weiß ein anderer Teil von mir, dass Meg das mit dem Kuss nicht gut finden würde.
Deshalb sage ich: »Was denkst du denn! Ich konnte sie nicht einmal sprechen. Sie war noch nicht wieder bei Bewusstsein.«
»Typisch.« Ich merke, dass Meg irgendwie froh darüber ist, recht gehabt zu haben. Dennoch sagt sie: »Mach dir keinen Kopf. Du wirst schon einen anderen Weg finden, wie du das hinkriegst. Du hast Talent.«
»Ja, ein Talent fürs Schuhereparieren.«
»Ich würde deine Designs sofort tragen.« Sie streckt ihre Hand aus und beginnt, meinen Nacken zu massieren. Ihre Finger fühlen sich kräftig an, und es ist schön, wenn einem jemand den Nacken knetet, auch wenn es nur Meg ist.
»Das fühlt sich gut an. Mein Nacken tut echt weh, wenn ich mich den ganzen Tag über die Theke beuge.«
»Ja, geht mir genauso.« Sie fängt an, beide Hände zu benutzen und auch meine Schultern zu massieren. Sie riecht nach Kaffee und ein wenig wie der Ozean. Ich schließe einen Moment lang die Augen. »Hast du je daran gedacht, dass alles, was passiert, seinen Grund hat?«, fragt sie.
»Zum Beispiel?«
»Oh, ich weiß auch nicht. Man weiß es zuerst nicht, aber es dient einem höheren Zweck. Vielleicht klappt es zum Beispiel mit Victoriana nicht, weil irgendetwas anderes passieren soll.« Sie rückt näher an mich heran.
»Kann schon sein.«
»So schrecklich ist es doch gar nicht, hier zu sein, oder?«
Doch. Doch es ist schrecklich, denke ich. Ich sage jedoch: »Nein, aber sie ist so schön.«
Meg hört damit auf, mir die Schultern zu massieren.
»Hey, warum machst du nicht weiter?«
Sie weicht zurück, ohne mich
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