KISSED
hochgebracht habe. Das hätte ich doch gemerkt. Außerdem sind deine Zähne krumm.«
Jetzt hat sie mich erwischt. »Es ist ein Expander.« Ich beschleunige meinen Schritt. Bitte komm nicht hinter mir her.
Sie lacht. »Also, ich glaube, du bist heruntergekommen, um den Vogel da zu klauen, und als du mich hast kommen hören, hast du diesen magischen Umhang benutzt, um aus dem Haus rauszukommen.«
Ich bin schon fast über die Straße, aber als sie »magischer Umhang« sagt, bleibe ich wie angewurzelt stehen. Wie kann sie das wissen? Wie hat sie es herausgefunden?
Sie deutet auf mein erschrockenes Gesicht und lacht. »Ertappt, was?«
Ich ordne meinen Gesichtsausdruck neu, und es gelingt mir zu lachen, auch wenn es mehr wie ein Husten klingt. »Oh yeah, wirklich witzig.«
»Das war kein Witz. Ich meine, ich bin dir auf die Schliche gekommen. Hör mal, als ich dich das erste Mal sah – als du vor zwei Tagen in die Bar kamst –, da dachte ich, ich bilde es mir nur ein. Ich meine, wie oft sieht man jemanden mit einem magischen Umhang?«
»Nie. Es gibt keine magischen Umhänge.« Aber ich weiß, dass ich aufgeflogen bin.
»Hör mal, ich war nicht betrunken wie alle anderen dort, deshalb habe ich dich gesehen. Aber als du gegangen bist, glaubte ich, dass es das jetzt war. Dann bist du gesternzurückgekommen. Ich dachte, vielleicht ist es Schicksal. Und jetzt gerade, als ich dich im Müll gesehen habe, war ich mir sicher.«
Warum musste ich mich ausgerechnet in den Müllcontainer wünschen? Der Umhang hätte mich auch nach Miami zurückgebracht. Nach Key West. Nach Südfrankreich. Ich muss anfangen, diese Dinge besser zu planen. Aber da ich ohnehin im Gefängnis oder auf dem Friedhof landen werde, ist es jetzt wohl sowieso zu spät.
»Hör mal, es tut mir leid. Aber du hast den Vogel deines Onkels ja, dann kannst du mich doch jetzt gehen lassen, oder?«
»Ich will den Vogel nicht. Ich will etwas anderes.«
»Was denn?« Aber ich weiß, was sie will. Sie will den Umhang, und wenn es sein muss, gebe ich ihn ihr, um freizukommen. Doch zuerst werde ich sie dazu überreden, dass sie mir im Austausch dafür auch den Vogel gibt.
»Ich möchte, dass du mich mit diesem Umhang wohin bringst. Wenn ich dich mit dieser Vogel-Entführung davonkommen lasse, dann habe ich hier wahrscheinlich nicht mehr allzu lange einen Job. Deshalb möchte ich, dass du mich nach Hause bringst, nach South Carolina.«
»Dich nach Hause bringen?« Sie will den Umhang gar nicht. Sie wird mir den Vogel geben, und möchte dafür noch nicht einmal den Umhang? Was für ein Glück!
Irgendwie komisch, dass sie an einem magischen Umhang gar nichts Ungewöhnliches findet oder dass sie ihn nicht für sich selbst will.
Ich verdränge den Gedanken. Sie ist vom Land. Sie ist nett und vertrauensselig. Sie möchte einfach nur nach Hause. Ich kann sie hinbringen und in wenigen Minuten wieder zurück sein und dem Fuchs den Vogel geben.
Victoriana warnte mich davor, jemand anderen den Umhang benutzen zu lassen. Aber ich habe keine andere Wahl, oder? Ich wurde erwischt. Festgenagelt. Ich muss sowieso mitspielen, sonst bin ich erledigt. »Okay.«
»Du machst es?«
»Ja, aber ich muss den Umhang holen. Er liegt nämlich unten im Müllcontainer. Und ich brauche unbedingt den Vogel.«
»Ach, was soll’s. Onkel Sam hat mir ohnehin nur die Hälfte des Mindestlohns gezahlt.«
»Und ich muss kurz allein sein«, sage ich, weil ich ja wohl kaum vor ihr ein Gespräch mit einem Fuchs führen kann.
»Allein sein?« Ihre blauen Augen werden schmal. »Woher weiß ich, dass du mich nicht im Regen stehen lässt?«
Ich denke kurz nach, dann reiche ich ihr meinen Rucksack. Darin ist alles, außer der Kleidung, die ich anhabe, dem Geld und Megs Ring, den ich in meiner Hosentasche aufbewahre. »Halt das mal. Da ist mein Ausweis drin. Du würdest mich finden.«
Nachdenklich schaut sie darauf hinunter. »Also gut. Aber ich bin in fünf Minuten wieder zurück.« Sie reicht mir den goldenen Käfig mit dem Vogel.
»Fünf Minuten.«Ich muss mich beeilen. Sobald Norina um die Ecke verschwunden ist, renne ich zum Müllcontainer und will draufschlagen, um den Fuchs aufzuscheuchen. Aber er ist schon da und zieht mit den Zähnen meinen Umhang hinter sich her.
»Den nehme ich«, sage ich.
»Und ich« – er macht eine Bewegung mit der Pfote zum Vogel hin – »nehme das.«
Finster schaue ich den Vogel an. Er schläft jetzt, wie zuvor. Blöder Vogel. Ich bin froh, ihn loszuwerden.
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