KISSED
schwarzes Kleid mit Spitzen, in dem sie ganz erwachsen und glamourös aussah. Ben Abercombie warf uns den ganzen Abend finstere Blicke zu. Ich gratulierte Meg dazu, dass sie ihn schmoren ließ. Doch einen Moment lang, als wir auf der Tanzfläche waren und ich sie in den Armen hielt, vergaß ich, dass ich da war, um Ben eifersüchtig zu machen, und wollte sie küssen.
Ich schaue Meg an und begreife. Ich hätte sie küssen können. Und das hätte alles verändert.
Sie steigt herunter. »Wir müssen los.«
»Nein, warte.«
Die Sonne geht unter, und unter uns leuchten die nie verlöschenden Lichter Manhattans in der grauen Halbdämmerung umso heller. Hier oben hört man das Hupen und die Menschen am Boden nur, wenn man sich wirklich konzentriert, und das tue ich nicht. Ich möchte an gar nichts denken, nur daran, wo ich bin und mit wem. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich bleiben will, oder daran, dass ich nur nicht wegwill, aber ich packe Meg am Ellbogen, ziehe sie zu mir und helfe ihr hoch. Sie lehnt sich an mich, den Kopf an meiner Schulter, und in diesemAugenblick, vor den Lichtern und dem Glanz, in der Hitze und dem Grau, weiß ich, dass ich sie wirklich gern küssen will.
Nein, will ich nicht. Ich? Meg küssen? Das kann ich nicht. Ich will eine ganze Menge. Geld. Abenteuer. Victoriana – eine Prinzessin, verdammt noch mal. Ich will mehr, als ich je hatte.
Oder nicht?
Und trotzdem – Meg in meinen Armen wie in jener Ballnacht. Mehr als nur einen Moment lang glaube ich, dass es genau das ist, was ich will.
Ich ziehe sie enger an mich. »Ich wünschte, wir könnten hierbleiben.«
»Können wir doch.« Meg hebt den Kopf.
»Entschuldigung? Benutzt ihr das gerade?« Unter uns starren ein Mann und ein kleines Mädchen zu uns hoch. »Meine Kinder wollen da durchschauen. Könnt ihr euch vielleicht einen anderen Ort zum Rumfummeln suchen?«
»Oh, natürlich.« Ich verbessere ihn nicht einmal in Bezug auf das Rumfummeln. Doch ich bin in diesem Augenblick froh, dass wir unterbrochen werden. Meg zu küssen wäre ein großer Fehler. Dadurch würde sich alles ändern, auch Dinge, von denen ich nicht will, dass sie sich ändern.
Ich steige von dem Teleskopding und strecke ihr die Hand hin. »Du hast recht. Wir sollten gehen.«
Den ganzen Weg mit dem Aufzug nach unten schaut Meg mich nicht an. Ist sie sauer auf mich, weil ich sie fast geküsst hätte? Oder ist sie sauer, weil ich es nicht getanhabe? Jedenfalls habe ich irgendein unsichtbares Band zwischen uns zerrissen, darum muss ich jetzt ihr Vertrauen zurückgewinnen.
Als wir unten ankommen, sage ich: »Sorry«.
»Wofür?« Noch immer schaut sie mich nicht an.
»Weil ich dich kü… Deine Freundschaft bedeutet mir viel, Meg. Mehr als fast alles sonst. Ich möchte sie nicht durch irgendetwas kaputt machen.«
Sie blickt auf den Marmorfußboden hinunter und zieht mit dem Zeh die unterschiedlichen Marmorquadrate nach.
Schließlich seufzt sie. »Nein, ich auch nicht.«
»Möchtest du jetzt gehen?« Ich will noch nicht los, nicht, solange sie böse auf mich ist. Außerdem möchte ich, dass der Tag, dieser Tag, länger dauert. Victoriana ist schön und reich, und ich habe ihr versprochen, dass ich ihren Bruder finde, dass ich sie heirate. Aber wenn ich das tue, wird es nie wieder das Gleiche sein, werden Meg und ich nie wieder auf diese Weise zusammen sein. Mache ich gerade einen riesigen Fehler? Ich wollte, dass sich mein Leben verändert, aber jetzt, wo ich kurz davor bin, habe ich Angst.
Solange ich hierbleibe, muss ich mich nicht entscheiden.
Deshalb bin ich froh, als Meg sagt: »Lass uns ein Stückchen laufen.«
Wir gehen in Richtung Times Square, denn dort treffen alle Lichter, Hupen, Taxis und Leute zusammen. Inzwischen ist es dunkel, aber das merkt man kaum, weil es so hell ist mit all dem Rot, Pink, Grün und Gold, derenMischung den Himmel noch immer blau wirken lässt, oder vielleicht liegt es auch daran, dass die Gebäude so hoch sind, dass man den Himmel sowieso nicht sehen kann. Wir drängeln uns durch eine Menschenmenge, die einem fast nackten Kerl mit Cowboyhut zusieht, der Gitarre spielt. Autos hupen. Der Verkehr rauscht vorbei.
Über uns Leuchtreklamen und eine Laufschrift mit den neuesten Schlagzeilen.
Und plötzlich steht da etwas, das ich nicht ignorieren kann.
PLAYGIRL-PRINZESSIN HEIRATET ZALKENBOURG-ERBEN
Victoriana! Sie heiratet Wolfgang! Den Katzenschinder.
Sie heiratet ihn. Aber warum? Ich habe all diese Strapazen auf mich
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