KISSED
Schultern ziehen. Über das Gebrüll der Riesen hinweg wünsche ich uns an den ersten Ort, der mir in den Sinn kommt.
Und dann sind wir da.
31
»Wo sind wir?« Meg schaut sich um. »Ich habe das Gefühl, ich war hier schon mal, aber …«
Ich ziehe uns den Umhang von den Schultern und legeihn zusammen, bevor ihn jemand sieht. Hier riecht es viel besser. »Wir sind in Penn Station.«
»Penn Station?«
»New York City. Als du letztes Jahr hier warst, hast du mir erzählt, dass hier so viele Leute herumlaufen, wie PETA -Mitglieder auf einer Pelzschau, deshalb dachte ich mir, hier würde niemand zwei Jugendliche bemerken, die als Phantom der Oper verkleidet eine Bruchlandung hinlegen.«
Und tatsächlich fällt niemandem etwas auf. Ein professormäßig aussehender Kerl in einem hellbraunen Jackett scheint uns direkt anzustarren, aber dann wendet er sich ab und vergräbt sein Gesicht hinter einer Zeitung. Ein Typ, der auf Gangster macht, schaut uns zweimal an, dann dreht er sich um und spricht in sein Handy: »Ich ruf dich zurück, Alter. Mir geht’s gerade nicht so gut.« Dann reibt er sich die Augen. Ein Typ, der einen Kontrabass mit sich herumschleppt, prallt gegen mich. Ich will gerade Entschuldigung sagen, aber er schreit mich in einer fremden Sprache an.
Ich wende mich Meg zu. »Ich glaube, ich hatte recht. Wir müssen bis heute Abend die Zeit totschlagen. Deshalb sollten wir uns vielleicht die Sehenswürdigkeiten anschauen. Zum Beispiel die Freiheitsstatue. Meine Urgroßeltern sind über Ellis Island hierhergekommen.«
Meg stimmt ziemlich bereitwillig zu. »Sollen wir die U-Bahn nehmen oder den Umhang?«
Einen Augenblick später sind wir in der Fackel derStatue. Sie ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, deshalb ist sie leer. Wir blicken nach unten. Von der Fackel aus können wir die Krone der Statue sehen und ihren Nasenrücken. Wir schauen an ihrem hübschen grünen Kleid in Größe zweitausend hinunter auf den Stern des Podests.
»Guck mal«, sage ich zu Meg. »Auf dem Buch in ihrer Hand steht ein Datum. Juli, dann ein paar römische Zahlen …« Ich kneife die Augen zusammen, um sie besser lesen zu können.
»Vierter Juli siebzehnhundertsechsundsiebzig«, sagt Meg. »Der Tag der Unabhängigkeitserklärung.«
Einen Moment später deutet sie auf die Bucht. »Man kann die Schatten der Wolken sehen. Sie sehen aus wie Kontinente.«
Ich umklammere das Geländer und lehne mich hinaus. Meg hat recht. Sie sehen tatsächlich aus wie Kontinente.
»Wir waren heute in Europa«, sage ich. »Und jetzt sind wir in New York. Wie surreal ist das denn!«
»Echt surreal«, stimmt sie zu.
Ich könnte mit Victoriana zusammen sein, mit ihr reisen und all diese Dinge sehen. Wahrscheinlich hat sie das alles schon gesehen, hat alles schon gemacht, ist überall gewesen.
Meg ergreift meine Hand. »Das ist so aufregend, Johnny. Danke, dass du mich mitgenommen hast.«
Die Höhe macht mich plötzlich schwindelig. Ich packe Megs Hand und drücke sie ebenfalls. Sofort fühle ich mich besser. »Ich bin froh, dass du da bist.« Und das bin ich wirklich.
Als wir genug davon haben, wünschen wir uns auf das Podest. Wie zuvor auf dem Bahnhof sehen uns die Leute zwar landen, aber irgendwie auch wieder nicht. Ein kleiner Junge prallt gegen uns. »Hey, ich habe euch gar nicht gesehen.« Seine Mutter schreit ihn an, er solle gefälligst aufpassen, sie hat überhaupt nichts mitbekommen.
Ich frage mich, ob die Leute zu Hause auch so reagieren würden, ob ich so reagieren würde. Habe ich je etwas Seltsames oder Ungewöhnliches – oder Magisches – gesehen und es einfach ignoriert, weil ich meinen eigenen Augen nicht traute? Ich habe mein ganzes Leben lang Geschichten gehört über Riesen, über den Yeti und über Bigfoot, aber wer glaubt die schon? Vielleicht gibt es das in Wirklichkeit alles – das Ungeheuer von Loch Ness, UFO s und so weiter. Vielleicht sind die Verrückten die Einzigen, die die Wahrheit kennen. Wenn sich Menschen in Schwäne verwandeln können, was ist dann nicht möglich?
»Bist du froh zu wissen, dass es Magie wirklich gibt?«, fragt Meg, als würde sie meine Gedanken lesen.
»Ja, das bin ich«, antworte ich, »auch wenn die Leute glauben würden, ich stünde unter Drogen, wenn ich es ihnen erzählte.«
Sie zuckt die Achseln. »Ich würde das nicht denken, selbst wenn ich das hier nicht mit dir erlebt hätte.« Und ich weiß, dass das stimmt. Sie würde mir glauben, weil sie meine beste Freundin
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